Die Wohlgesinnten
UdSSR wieder; sein Vater war von den Sowjets deportiert worden, seine Mutter bei einem unserer Bombardements umgekommen. Er war wirklich ein ausgesprochen schöner Junge: ein längliches, schmales Gesicht, üppige Lippen, schwarzes, wild gelocktes Haar, lange Fingermit bläulichen Adern. Alle Welt mochte ihn hier; selbst Lübbe misshandelte ihn nicht. »Herr Offizier?«, fragte Jakow. Er hob den Blick nicht von den Tasten. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« – »Natürlich.« – »Stimmt es, dass Sie alle Juden töten wollen?« Ich fuhr auf: »Wer hat dir das gesagt?« – »Gestern Abend habe ich Herrn Bohr gehört, der mit den anderen Offizieren sprach. Sie haben sehr laut geschrien.« – »Sie hatten getrunken. Du hättest nicht zuhören dürfen.« Er hielt die Augen noch immer gesenkt, ließ aber nicht locker: »Also werden Sie auch mich töten?« – »Aber nicht doch.« Ich spürte ein Kribbeln in den Händen, zwang mich aber zu einem normalen, fast heiteren Tonfall: »Wie kommst du denn darauf, dass wir dich töten?« – »Ich bin auch ein Jude.« – »Das hat nichts zu sagen, du arbeitest für uns. Du bist jetzt ein Hiwi.« Leicht schlug er eine Taste an, einen hohen Ton: »Die Russen haben uns immer gesagt, dass die Deutschen böse sind. Aber ich glaube das nicht. Ich mag euch gern.« Ich sagte nichts. »Möchten Sie, dass ich spiele?« – »Spiel!« – »Was soll ich spielen?« – »Spiel, was du möchtest.«
Die Stimmung im inneren Kreis des Kommandos wurde unerträglich; die Offiziere waren nervös, sie fingen bei jeder Nichtigkeit an zu brüllen. Callsen und die anderen kehrten zu ihren Teilkommandos zurück; jeder behielt seine Meinung für sich, aber man sah ihnen deutlich an, dass die neuen Aufgaben sie belasteten. Kehrig reiste eilig ab, fast ohne sich zu verabschieden. Lübbe war häufig krank. Aus ihren Einsatzgebieten schickten die Teilkommandoführer sehr negative Berichte über die Moral ihrer Truppen: Es gab Fälle von nervöser Erschöpfung, die Männer weinten; laut Sperath litten viele unter Impotenz. Es kam zu einer Reihe von Zusammenstößen mit der Wehrmacht: Bei Korosten hatte ein Hauptscharführer jüdische Frauen gezwungen, sich auszuziehen und nackt vor einem Maschinengewehr zu laufen; er hatte Fotos gemacht, und diese Bilder waren vom AOK abgefangenworden. In Belaja Zerkow hatte Häfner eine Auseinandersetzung mit einem Generalstabsoffizier einer Frontdivision, der eingegriffen hatte, um die Exekution jüdischer Waisenkinder zu verhindern; Blobel begab sich an den Ort des Geschehens, und die Angelegenheit gelangte bis zu Reichenau, der die Erschießung billigte und den Offizier rügte; doch kam deshalb erhebliche Unruhe auf, außerdem weigerte sich Häfner, seinen Männern das zuzumuten, und wälzte die Sache stattdessen auf seine Askaris ab. Andere Offiziere verfuhren ebenso; doch da die Schwierigkeiten mit der OUN-B anhielten, schuf diese Vorgehensweise ihrerseits neue Probleme, die angewiderten Ukrainer desertierten oder verrieten uns sogar. Andere dagegen nahmen die Exekutionen widerspruchslos vor, bestahlen die Juden jedoch schamlos und vergewaltigten die Frauen, bevor sie sie töteten; gelegentlich mussten wir unsere eigenen Männer erschießen. Kehrigs Nachfolger erschien nicht, und ich versank in Arbeit. Ende des Monats schickte mich Blobel nach Korosten. Die »Republik Polesien« im Nordosten der Stadt war uns auf Befehl der Wehrmacht verwehrt, aber es gab trotzdem viel Arbeit in der Region. Verantwortlich war Kurt Hans. Den mochte ich nicht besonders, ein bösartiger, launischer Mensch; er mochte mich auch nicht. Trotzdem mussten wir zusammenarbeiten. Die Methoden hatten sich verändert, wir hatten sie aufgrund der neuen Erfordernisse rationalisiert, systematisiert. Allerdings erleichterten diese Veränderungen den Männern nicht immer die Arbeit. Fortan mussten die Verurteilten sich vor der Hinrichtung ausziehen, weil man ihre Kleidung für die Winterhilfe und die Umsiedler wiederverwertete. In Shitomir hatte uns Blobel die neue, von Jeckeln entwickelte Methode der »Sardinenpackung« erläutert, die Callsen bereits kannte. Infolge des beträchtlich gestiegenen Durchlaufs, der seit Juli in Galizien anfiel, war Jeckeln zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gruben sich zu rasch füllten; die Leichenfielen, wie es sich gerade ergab, kreuz und quer übereinander, Platz wurde verschwendet, und wir verloren also zu viel Zeit beim Graben; die neue Methode sah vor, dass
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