Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
sogar Flaggen, Bandenabzeichen der verschiedenen Rennmannschaften. Junge Männer in Lederjacken drängten sich um die grollenden Autos, während ihre Freundinnen in Pelze und Miniröcke gekleidet in ihren eigenen Cliquen zusammenstanden.
Hier würden sie also die Bogatyri finden? Was hatte sie erwartet? Ein paar Kerle in Plattenrüstungen, die auf Streitrössern ritten? Wenn die Bogatyri auch nur ein wenig den Templern ähnelten, würden sie unauffällig und diskret sein.
Ein klotziger, dröhnender Hummer fuhr auf den Bürgersteig. Ein brennender Feuervogel war auf die Motorhaube gemalt. Seine Federn waren lodernde rote und orangefarbene Flammen, seine Augen goldene Lavatropfen. Die Scheinwerfer erleuchteten die Horden wie eine Supernova, und die Menge wich ehrfürchtig zurück, während der Wagen über das Pflaster holperte.
Die Beifahrertür öffnete sich, und ein junger Mann sprang heraus. Er hatte kurzes dunkles Haar, weit auseinanderstehende Wangenknochen und eine gebrochene Nase, die den eisigen Ausdruck seines aristokratischen Gesichts noch unterstrich. Er fuhr sich mit der Hand über eine nicht vorhandene Falte seines schwarzen Mantels, der wahrscheinlich mehr gekostet hatte als die meisten Autos auf der Straße. Er entdeckte eines der posierenden Mädchen, und ein Lächeln huschte über seine Lippen, lässig, charmant und arrogant. Der Freund des Mädchens stellte sich instinktiv vor seine Freundin und starrte finster zurück. Billi rechnete beinahe damit, dass die beiden beginnen würden, sich auf die Brust zu trommeln, so animalisch war ihre Rivalität. Stattdessen berührte der junge Mann den Diamantohrring in seinem linken Ohr und drehte sich gelangweilt weg. Er trug das Selbstbewusstsein eines Menschen zur Schau, dessen Leben viel, viel zu einfach gewesen war. Er war wunderschön, und, oh ja, das wusste er. Sein Fahrer lehnte an der Autotür und steckte sich eine Zigarette an. Ein harter, übler Bursche. Eindeutig ein Leibwächter.
Der junge Mann ließ den Blick über die Massen schweifen, als ob sie ihm gehörten. Als ob ihm Moskau gehörte.
Sein Blick begegnete ihrem, und er hielt inne. Billi musste etwas Neues sein.
Es war ihr schon im Zug hierher aufgefallen. Anders als in London mit seinem Kaleidoskop von Kulturen und Ethnien gab es in Moskau überwiegend Weiße. Sie hatte ein paar asiatische, vor allem mongolische Gesichter gesehen, aber abgesehen davon schien der größte Teil der Bevölkerung aus Europäern zu bestehen. Vielleicht begegneten ihm nicht viele pakistanische oder halb pakistanische Mädchen.
Die Aufmerksamkeit des Typen war unangenehm intensiv. Aber Billi würde nicht zurückzucken. Sie sah zu, wie er die behandschuhte Hand spreizte und den Kopf senkte, um ihr ein winziges Nicken zu schenken, aber seine Augen wandten sich nicht von ihren ab. Er lächelte nicht einmal ansatzweise, als ob das zu viel gewesen wäre. Billis Herzschlag verdoppelte seine Geschwindigkeit, während sie zusah, wie er sich mit immer noch ausgestreckter Hand wieder aufrichtete.
»Ist was?«
Billi drehte sich um; Lance sah an ihr vorbei den jungen Mann an. Ihre Interaktion hatte nur einen Sekundenbruchteil gedauert, aber Billi war verlegen. Sie war zu einem bestimmten Zweck hier, und der bestand nicht darin, sich die hiesigen Schönheiten anzusehen. Sie warf einen raschen Blick zurück. Er war fort.
»Nichts.« Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die anstehenden Aufgaben und sah sich noch einmal die Menschenmenge an. Wie sollten sie darin einen Werwolf erkennen, wenn er menschliche Gestalt hatte? Die durchgehenden Augenbrauen und haarigen Handflächen waren nur Legenden – nicht, dass sie hier, wo alle dick eingemummelt waren, überhaupt etwas genützt hätten.
Billi nahm ein Schlurfen am Rande des Platzes wahr. Sie war schon dabei, die Straße zu überqueren, als ein Mann aus dem dunklen Schutz der Bäume hervorgestolpert kam; er hielt sich die Kehle. Er machte noch einige wackelige Schritte und brach dann langsam zusammen. Die Leute wichen in der Annahme zurück, dass er bloß ein Dummkopf sei, der nicht wusste, wie viel Wodka er vertrug, aber dann fiel er auf die Knie. Irgendjemand schrie.
19
Der Mann lag zuckend am Boden; Blut strömte ihm aus der Kehle und färbte den Schnee scharlachrot. Die Menschen drängten sich um ihn, und eine junge Frau würgte, während sie versuchte, den Blutstrom zu stillen.
Billi rannte zu den Bäumen und suchte sie ab, dicht gefolgt von Elaine und Lance. Alle
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