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Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarwat Chadda
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wenn sie über den schotterübersäten Asphalt rollten. Wetter wie dieses hätte London zu Eis erstarren lassen. Aber die in Pelzmäntel gehüllten Russen steckten den meterhohen Schneefall und die zweistelligen Minustemperaturen mühelos weg.
    Russland würde den vulkanischen Winter besser als andere Länder überstehen, zumindest am Anfang. Das Land hatte riesige Gas-, Kohle- und Ölvorräte. Konnte es den Fimbulwinter überleben? Unwahrscheinlich – man konnte Kohle nicht essen.
    Lance deutete auf einen Minivan, und der Mann darin winkte sie heran. Das Innere des Wagens war dunstig vor Zigarettenrauch.
    »Dann mal los«, sagte Gwaine, als er seinen Rucksack hineinwarf. Die anderen folgten ihm, und Billi ergatterte einen Fensterplatz.
    Riesige Plakatwände säumten die Autobahn und verbargen viel von den Anwesen, die sie auf dem Weg nach Moskau passierten. Die Firmen, die hier warben, waren alles bekannte Marken – Microsoft, BMW –, aber die Schrift war kyrillisch, ein dezenter Hinweis darauf, dass hier draußen in Russland alles anders war. Der Schnee war längs der Autobahn brusthoch aufgehäuft, und zarte Wölkchen wirbelten aus den Schneewehen empor, so als ob der Schnee selbst dampfte.
    Sie waren schon seit einer Stunde auf dem Weg in die Stadt, als Billi in der Ferne eine Statue entdeckte. Es war ein Ritter zu Pferde; sein Speer steckte in einem sich windenden Drachen.
    »Die Russen verehren den heiligen Georg?«, fragte sie.
    Lance nickte. »Er ist der Schutzpatron der Stadt. Die Russen nehmen ihre Religion sehr ernst. Besonders nach den Jahrzehnten kommunistischer Unterdrückung. Die Regierung und viele reiche Mäzene haben die Restaurierung einiger alter religiöser Stätten finanziert. Es gibt schließlich keinen besseren Weg, in den Himmel zu kommen, als den, eine Kirche zu bauen.« Lance deutete auf eine Kirche, an der sie gerade vorbeifuhren. »Aber es ist nicht der einzige Weg.«
    Die fünf goldenen Kuppeln des Gebäudes glänzten trotz der dichten Wolken darüber. Die Wände waren mit leuchtenden Mosaiken bedeckt, und das Gebäude sah neu aus. Strahlend wie die Sonne ragte ein goldbekränzter, geflügelter Krieger auf. Seine Flügel waren ausgebreitet, als wolle er den Gläubigen Schutz bieten, wenn sie die Kirche durch das Portal unter ihm betraten. Sein langes Haar war offen, seine Augen funkelten, und er schien Billi geradewegs anzusehen. Er hielt das Schwert erhoben, bereit zuzuschlagen.
    Sankt Michael.
    Der Minivan kroch durch die verschlungenen Nebenstraßen des Arbat. Sie waren von einer der achtspurigen Ringstraßen abgebogen, die um das Zentrum von Moskau herumführten, und befanden sich nun mitten im Künstlerviertel der Stadt. Bei den Gebäuden hier handelte es sich um elegante alte Villen und Mehrfamilienhäuser aus der Zeit vor der Russischen Revolution. Sie waren mit kunstvollen Fresken verziert; manche hatten neben ihren Eingängen dunkle Eisenplatten, die den Doppeladler, das Symbol des zaristischen Russland, zeigten.
    »Da ist es – das Olimpiyskaya-Hotel«, sagte Lance. Der Fahrer lenkte den Minivan durch ein hohes zweiflügliges Tor aus Schmiedeeisen auf einen kleinen Hof.
    Der Himmel, der jetzt wolkenlos war, zeigte ein kaltes Weiß mit roten und rosafarbenen Schlieren im Südosten. Die Farben verliehen der sonst so grauen Stadtlandschaft einen rosigen Hauch.
    »Luftverschmutzung durch die Eruption«, sagte Elaine. »Wir werden dank des Vesuv auch ein paar schöne Sonnenuntergänge bekommen.« Sie zog ihren Rucksack aus dem Wagen. Billi und sie gingen gemeinsam ins Haus.
    Eine Treppe führte im Bogen aus der marmorgetäfelten Eingangshalle ins nächste Stockwerk. Einige der Stufen waren grob mit Beton repariert worden. Ein staubiger Kronleuchter hing an einer schweren Messingkette. Das Haus hatte schon bessere Zeiten gesehen. Verdammt, es hatte bessere Jahrhunderte gesehen.
    Neben dem Eingang stand ein altes Sofa, das mit verblasstem rotem Samt bezogen war. Darauf saß ein bulliger Mann mit kleinen Augen. Er fuhr sich mit Fingern, die schwer von Goldringen waren, durch sein sich lichtendes Haar, während er die Neuankömmlinge beobachtete. Eine Hand ruhte auf einem abgenutzten alten Koffer.
    »Gute Wahl, Lance«, sagte Billi, als er mit Gwaine hinter ihr hereinkam. Lance sah den großen Mann an und grinste. Die beiden umarmten einander und unterhielten sich schnell auf Russisch. Billi verstand kein einziges Wort – oder besser gesagt: nur ein einziges.
    Bogatyri .
    Lance

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