Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
vom verfliegenden Leben.
Dann atmet er nicht mehr.
»Ich habe ihn geliebt – und getötet. Ich hatte keine Wahl.« Billi spürte, wie sich ihr die Brust zusammenschnürte.
»Hast du das gleiche Gefühl jetzt auch? Dass du keine Wahl hast?« Iwan legte seine Hand auf Billis. »Dass du Wassilissa töten musst, um Baba Jaga aufzuhalten?«
Billi seufzte und blickte tief in die Flammen.
»Das ist es, was dein Vater tun würde, ja?«
»Vielleicht ist die Vorgehensweise meines Vaters die einzige.« Billi blinzelte und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
Elaines Hinweise darauf, wie Baba Jaga vernichtet werden konnte, waren ohne die Statuette nutzlos, und ihnen gingen die Zeit und die Möglichkeiten aus. Billi musste sich bereit machen. Sie musste mehr wie Arthur sein: kalt und herzlos. Das schien ohnehin ihre Zukunft zu sein. So zu werden wie ihr Vater. Genau wie ihr Vater.
»Ich finde, das ist eine traurige Lebensweise.«
Billi fuhr herum, aber sie konnte sehen, dass Iwan es nicht als Kritik gemeint hatte. Nur als Tatsache. Der Wahrheit konnte man nicht widersprechen.
»Für eine Templerin ist es der einzige Weg«, entgegnete sie. Sie hatte Angst, was er wohl von ihr halten mochte. Aber Iwan sagte nichts. Er legte nur den Arm um sie.
»Mein Vater hatte hehre Ideale. Er wusste, dass das Böse bekämpft werden muss und dass dabei gute Menschen sterben.« Iwan starrte in die Flammen, in alte Erinnerungen versunken. »Ich wünschte, ich hätte an seiner Seite gekämpft.« Er sah Billi an und lächelte leicht. »Ich werde an deiner Seite kämpfen, Billi.«
Er vertraute ihr, und Billi war dankbar dafür.
Die Nacht war gespenstisch still geworden. Billi hatte zuvor gar nicht bemerkt, dass der Sturm zum Erliegen gekommen war, aber nun schien ihr Atmen das lauteste Geräusch im ganzen Wald zu sein. Das Feuer brannte gut; die zärtliche Wärme der Flammen umfing sie beide, und die Felsoberfläche erstrahlte in sanftem, orangefarbenem Licht.
Billi schloss die Augen, als Iwan ihr gelöste Haarsträhnen aus dem Gesicht strich und dabei mit den Fingerspitzen ihre Wange streifte. Er küsste sie auf die Stirn; seine Lippen hinterließen einen warmen Abdruck auf ihrer Haut. Billi hob den Kopf und spürte, wie Iwan die Lippen auf ihre drückte, während seine Hände ihren Hinterkopf umfassten und sie drängend näher heranzogen. Wenn die Welt morgen unterging, würde sie wenigstens dies hier noch haben.
Der Schnee knirschte, als sich eine Last auf ihn senkte.
Ein neuer Duft gesellte sich dem Moschusgeruch des Waldes bei: Ein Jäger war erschienen.
Billi sprang auf und starrte in die Dunkelheit. Sie streckte die Hand aus; wortlos legte Iwan ihr die Glock auf die Handfläche. Die Flammen aus dem Flugzeug waren zu glimmender Asche zusammengesunken, aber der flache Kreis wurde noch immer von ihrem mattgoldenen Glanz erhellt. Dahinter erstreckte sich ein dunkler Teppich, der unmöglich zu durchdringen war.
»Steh auf.« Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als ein leiser Luftzug wie ein geraunter Fluch aus der umgebenden Dunkelheit hervorwehte. Es war ein kalter Hauch, und er trug den Gestank von Blut mit sich.
Ein einsamer Wolf trat auf die Lichtung hinaus. Die Äste der Bäume über ihm warfen ein Netz aus Phantomlichtern und Dunkelheit über seinen silbernen Pelz, so dass er aussah, als bestünde er aus Schatten. Er zog die Lefzen beiderseits der Schnauze hoch und bleckte lange, elfenbeinfarbene Reißzähne.
Billi atmete langsam und hob die Pistole.
»Willst du ihn erschießen?«, flüsterte Iwan.
»Wart’s einfach ab.«
Das Tier war ganz Wolf – bis auf die Augen. Sie waren menschlich, hellbraun und glänzten leicht in der Dunkelheit. Also ein Mondsüchtiger. Billi fragte sich, warum er nicht seine Ungeheuergestalt angenommen hatte, halb Mensch, halb Bestie. Vielleicht wurde mit der Zeit der Wolfsaspekt stärker, bis der Werwolf eines Tages erwachte und vergaß, dass er je auf zwei Beinen gegangen war. Er lief in den Schatten auf und ab, vorsichtig, aber taxierend. Sie waren etwa fünf Meter von dem Wolf entfernt, aber Billi wusste, dass er diese Distanz binnen eines Augenblicks überwinden konnte. Wenn die erste Kugel ihn nicht tötete, dann war sie verloren.
Worauf wartest du? , dachte Billi. Mach nur einen Schritt ins Licht und gestatte mir einen sauberen Schuss .
Aber die Schenkel des Wesens blieben locker und entspannt, obwohl die Haare auf seinen Schultern vor Eifer aufgerichtet waren. Der Werwolf war
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