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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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erkannte sie den Minister. Heute lächelte er nicht. In einer Art Overall stand er zwischen Polizisten und Begleitern in Zivil, die sich um ihn scharten. Alles Männer. Vielleicht seine Mitarbeiter, vielleicht Behördenvertreter des Ortes und des Kreises. Einer der Ärzte begrüßte den Minister ernst, fast finster. Dann verschwand der Troß aus Janna-Bertas Gesichtsfeld.
    Sie verließ das Bett und versuchte das Wandbord mit den Steinfiguren zu erreichen. Fünf, sechs Schritte – was für ein weiter Weg! Dann klammerte sie sich an das Bord und griff nach der erstbesten Steinfigur.
    »Was hast du vor, du dort?« rief ihr Laras Mutter zu. »Marsch ins Bett!«
    Aber Janna-Berta blieb beim Bord stehen. Sie fühlte sich schwach. Der Schweiß brach ihr aus. Sie sah erwartungsvoll zu Florians Vater hinüber. Kerzengerade stand er zwischen den Betten. Im Saal war es still geworden. Alle horchten. Von nebenan war jetzt deutlich das Kleinkindergeplärr zu hören.
    Draußen auf dem Gang wurden Schritte und Stimmen laut. Janna-Berta starrte zur Tür. Aber als sie sich öffnete, konnte Janna-Berta weder den Minister noch seine Begleiter sehen. Der Türflügel versperrte ihr die Sicht.
    »Das ist der Schulkindersaal für die leichteren Fälle«, hörte sie den Arzt sagen. »Etwa die Hälfte der Kinder hat reelle Chancen durchzukommen.«
    Der Minister grüßte. Nur Laras Mutter und ein paar Kinder antworteten schüchtern. Janna-Berta spähte wieder zu Florians Vater hinüber. Aber der blieb stumm.
    »Sie haben recht, Doktor«, hörte sie den Minister sagen. »Schlimm, die Zustände hier, schlimm. Ich werde sofort veranlassen, daß die Versorgung Ihres Hospitals höchste Priorität erhält. Höchste Priorität. Bald kommt alles wieder in Ordnung.«
    Janna-Berta hob die Hand mit der Steinfigur. Florians Vater – warum sprach er nicht? Aber da schloß sich schon die Saaltür. Der Minister hatte es wohl eilig. Die steinerne Figur prallte gegen die Türfüllung und polterte auf den Fußboden.
    »Und der Uli?« rief Janna-Berta. »Wie kommt der wieder in Ordnung? Und meine Eltern und Kai und Jo?«
    Die Kinder starrten sie erschrocken an. Sie kannten sie nur stumm.
    »Bist du verrückt geworden?« rief Laras Mutter.
    »Und Almut, und ihr Kind?« schrie Janna-Berta.
    Draußen auf dem Gang entstand Lärm. Patienten aus anderen Sälen schienen sich dort zu versammeln. Ein kleines Mädchen, das neben Ayse lag, rief nach seiner Mutter.
    »Und ich? Und ich?« schrie Janna-Berta. »Und die da? Wie kommt das alles wieder in Ordnung?«
    »Sei doch still!« rief Laras Mutter. »Und geh endlich zurück in dein Bett!«
    Aber Janna-Berta konnte das Bord nicht loslassen. Vor ihren Augen flimmerte es. Der Lärm auf dem Gang nahm zu: Drohgeschrei, Sprechchöre, lautes Weinen, dazwischen die Stimme des Ministers. Scherben klirrten, eine Tür fiel ins Schloß. Dann ebbte der Lärm ab. Ein paar Kinder kletterten aus ihren Betten und spähten durch den Türspalt hinaus.
    »Er ist weg«, berichteten sie. »Und die Schwingtür ist kaputt. Und alle gehen wieder in ihre Zimmer.«
    »Ach Kind«, sagte Florians Mutter zu Janna-Berta und führte sie zu ihrem Bett zurück. »Du hast ja recht. Aber so geht's halt auch nicht.«
    Florians Vater saß neben seinem Jungen auf der Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.
    »Sie hat Mut«, sagte Florians Mutter zu ihm.
    »Mut?« rief Ayse. »Das war Wut !«

7
    Seit dem Besuch des Ministers aß Janna-Berta wieder. Sie war geradezu heißhungrig. Und sie hatte wieder Hoffnung. Jedesmal, wenn die Tür aufging, schaute sie erwartungsvoll hinüber. Warum eigentlich sollten die Eltern, sollten Kai und Jo tot sein? Vielleicht waren sie doch noch rechtzeitig herausgekommen, hatten den letzten Zug erwischt oder einen Bus, der auf einer unverstopften Straße die Stadt hatte verlassen können. Und eines Tages stünde Mutti in der Saaltür, Kai auf dem Arm, lachend! Vati mit ausgebreiteten Armen im Türrahmen!
    Sie sprach auch wieder. Vor allem sprach sie mit Ayse. Ihr sagte sie, wie sie hieß, und erzählte ihr von Uli und davon, daß Almut schwanger war. Und Ayse erzählte ihr, daß sie einen deutschen Freund hatte, fünfzehn Jahre alt, und daß ihre Eltern ihr verboten hatten, ihn zu treffen.
    »Rüdiger heißt er«, sagte sie. »Und ich treff mich doch mit ihm!«
    Aber sie sprach oft und zärtlich von ihren Eltern und Geschwistern. Dann hatte sie Tränen in den Augen.
    Zwei Tage nach dem Ministerbesuch fuhren Lastwagen vor

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