Die Wolkenreiter Bd 2 - Kriegerin der Lüfte
Palast bereits rege Betriebsamkeit. Köche, Diener und Lieferanten eilten hin und her. Es verging kein Abend im Palast, ohne dass irgendeine offizielle Festlichkeit stattfand, Besucher aus Marin, Mittelbergen oder Oc anreisten oder einfach ein Empfang für irgendeinen Ade – ligen aus Isamar bereitet wurde. Frans wusste nicht, wer heute Abend kam, doch er wusste, dass seine Anwesenheit beim Abendessen erwartet wurde. Er sollte dort über Zollgebühren oder die Notwendigkeit verstärkter diplomatischer Beziehungen zu Kleeh oder die festgefahrenen Exportpreise sprechen. Jeder der Anwesenden würde zu jedem Thema eine Meinung haben. Solche Diskussionen gehörten zu den Pflichten, die er am meisten hasste. Er hatte nichts dagegen, dem Prinzen als eine Art adliger Buchhalter zu dienen. Schließlich mussten die Geschäftsbücher geführt werden, und wenn schon, sollten sie auch genau geführt werden, doch die aufgesetzte Art, die Eitelkeit und die Verlogenheit der Diplomaten störten ihn.
Er zweifelte, dass er ausgerechnet heute Abend in der Lage sein würde, Interesse an diesen Themen zu heucheln. In seinem Kopf schwirrten albtraumhafte Bilder herum, von Barbaren, die ein friedliches Dorf niedermetzelten und mit
ihren bemalten Kriegsschiffen das grüne Wasser der Meeresenge durchpflügten, von alten Männern, die in den Straßen abgeschlachtet wurden, von Müttern, die um ihre toten Kinder weinten, und um zwei unschuldige Kinder, die entführt worden waren. Bei dem Gedanken, dass sein Bruder so etwas einfach geschehen lassen wollte, biss er so fest die Zähne aufeinander, dass sein Kiefer wehtat.
Nachdem sie ihm die ganze Geschichte erzählt hatte, hatte er schließlich zu Philippa gesagt: »Ich verstehe meinen Bruder nicht. Wilhelm ist zwar noch nie besonders mitfühlend gewesen, aber hier geht es doch um Oc! Es sind unsere Bürger!«
»Ich bedauere, schlecht von Ihrem Bruder sprechen zu müssen. Sein Verhalten hat sicherlich mit seiner Besessenheit für die geflügelten Pferde zu tun.«
»Mein Vater war ebenfalls von ihnen besessen«, widersprach Frans, »aber für ihn standen die Interessen des Volkes an erster Stelle.«
»Das stimmt«, hatte Philippa ihm beigepflichtet. »Ich glaube, Besessenheit beschreibt auch nicht genau die Bedeutung, die die Blutlinien für Fürst Friedrich hatten. Ich weiß, dass Sie und Wilhelm manchmal den Eindruck hatten, er würde sich mehr für die Pferde als für Sie interessieren …«
Bei ihren Worten hatte Frans abwehrend die Hand gehoben. »Das waren kindliche Gefühle, Philippa. Und außerdem hat es Wilhelm deutlich mehr verärgert als mich.«
»Ich weiß.« Philippa hatte genickt und den Blick nach Westen gerichtet, wo die Berge wie weiße Gespenster über dem Gebirge aufragten. Er hatte sie von der Seite betrachtet und ihre asketische Strenge bewundert. Sie war keine hübsche Frau, und sie war zehn Jahre älter als er, aber er
hatte immer zu ihr aufgeschaut. Er hätte Philippa Inseehl gern zur Schwester gehabt.
»Bei Wilhelm ist es etwas anderes«, hatte sie schließlich zögernd festgestellt und sich auf die Lippen gebissen, was ungewöhnlich für sie war. Er hatte abgewartet und sich gefragt, welches Geheimnis sie ihm wohl verraten würde.
Philippa hatte hinunter auf ihre Hände geblickt, wo ihre Handschuhe zu einem beinahe flachen schwarzen Quadrat gefaltet waren. »Frans, Wilhelm hat seinen Körper verändert.«
»Wie bitte?« Frans hatte geglaubt, sich verhört zu haben.
Sie hatte aufgesehen. »Ich glaube, dass er ein Mittel einnimmt, eine Art Medikament. Seine …« Sie hatte auf ihre Brust gedeutet. »Er hat hier Wölbungen. Wie eine Frau.«
»Aber das kann doch nicht sein!«
»Nein. Jedenfalls nicht von allein.«
»Wieso sollte mein Bruder so etwas tun? Ist er verrückt geworden?«
»Vielleicht. Ich nehme an, es hat damit zu tun, dass er unbedingt ein geflügeltes Pferd fliegen möchte.«
»Aber Männer können nicht fliegen …« Frans hatte gemerkt, dass seine Stimme lauter geworden war. Er hatte geschluckt und trotz dieser Ungeheuerlichkeit versucht, einen klaren Kopf zu behalten.
»Nein«, hatte Philippa ausdruckslos erwidert. »Männer können nicht fliegen. Aber es sieht so aus, als würde Wilhelm vor nichts haltmachen, um diese Tatsache zu verändern.«
An dem ruhig dahinplätschernden Wasser hatte Philippa Frans leise von Wilhelms illegalen Zuchtversuchen erzählt, von der Entlassung des alten Zuchtmeisters und von seinem Interesse an dem
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