Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Dienstmädchen abzusteigen, wie das bei Eduard der Fall war.
Obwohl Winter ist, hat Sandra gestern einen Pulli mit einem tiefen Ausschnitt getragen, aber Dolors hat nun endgültig entschieden, dass ihr Pullover einen Rollkragen bekommt, damit sich ihre Enkelin nicht erkältet. Es ist schon seltsam, in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, ob sie sich erkälten könnteoder nicht … Dazu muss man wohl erst Großmutter oder Mutter werden, obwohl sie den Eindruck hat, dass Leonor neuerdings das Handtuch geworfen hat, was die Kleidung ihrer Tochter angeht. Scheinbar weiß sie nicht recht, wie sie die Sache angehen soll, und sie hat es ja auch versucht, wenn auch vergebens. Mit so einem Fähnchen gehst du mir nicht aus dem Haus! Es ist Winter, Sandra, da läuft man nicht halbnackt herum! Worauf Sandra logischerweise wie ein typischer Teenager reagiert: Das trägt man jetzt aber so, Mama! »Das trägt man jetzt aber so« heißt, dass es gerade groß in Mode ist, weshalb Leonor natürlich wie die typische besorgte Mutter antwortet: Und eine dicke Erkältung ist wohl auch gerade in Mode, oder was? Zum Glück für beide hat sich dann Martí eingemischt. Wenn er da ist, verteidigt er seine kleine Schwester immer: Reg dich ab, Mama, draußen zieht Sandra selbstverständlich etwas Dickes drüber, stimmt’s, Schwesterlein? Das Schwesterlein haucht ein leises Ja, und Leonor klingt einigermaßen zufrieden, als sie murmelt, das hoffe ich!
Es ist wirklich ein Glück, dass es Martí gibt. Er ist der einzig Vernünftige in dieser Familie, der Schlichter jeden Streits und derjenige, auf dessen Rat sie alle hören, wenn es was zu entscheiden gibt. Wie sie wohl drauf reagieren werden, wenn sie erfahren, dass er homosexuell ist? Dolors kichert. Aus allen Wolken werden sie fallen, vor allem Jofre. Zwar unterstützt er ausdrücklich das Bestreben der Homosexuellen, ihre Gleichberechtigung auf allen Ebenen durchzusetzen, doch auf das Gesicht, das er machen wird, wenn er erfährt, dass er selbst einen zu Hause hat, freut sich Dolors schon jetzt. Immer auf der Hut, dass seine Schwiegermutter es ja nicht hört, zieht er seit Jahren über Teresaher und bezeichnet sie als Mannweib, die nur zur Parteisprecherin gewählt worden sei, weil sie ihren Mund nicht halten könne. Ach ja, wie sich die Dinge ändern, früher hatten Jofre und Teresa in einer Bar eine nach der anderen geraucht und stundenlang über Sartre, Freud und Spaniens junge Demokratie diskutiert, und Leonor war schweigend danebengestanden und hatte später Teresa angekeift, dass Jofre ihr Freund sei und sie ihn gefälligst nicht so in Beschlag nehmen solle. Wie ein kleines Mädchen hatte sie dabei die Arme verschränkt und geschmollt, sodass Dolors besorgt nach dem Grund ihres Streits fragte. Da fing Teresa nur an zu lachen, nichts, Jofre und ich haben uns nur angeregt unterhalten, weil er sich dafür interessiert, was wir mit unserer Partei so alles auf die Beine stellen, und da ist die dumme Gans halt eifersüchtig geworden.
Und nun schau sie einer an, erst dicke Freunde und jetzt so zerstritten. Es gibt verschiedene Wege, sich zu entwickeln, doch man kann nicht behaupten, dass sich in der Hinsicht bei Jofre in all den Jahren viel getan hat. Auch wenn er das natürlich glaubt, aber seine Eroberung der siebzehnjährigen Mònica – sie ist siebzehn, Sandra hat es neulich erwähnt – spricht Bände. Nach wie vor kann Dolors das nicht fassen, denn das Mädchen ist schon seit Ewigkeiten mit Sandra befreundet, seit ihrer Kindheit sind die beiden unzertrennlich, und manchmal besuchten sie sie sogar in Dolors’ Wohnung, und wenn Dolors bei Leonor anrief, sagte Sandra oft, meine Freundin ist zum Spielen da. Jofre war für diese Mònica also immer der Vater ihrer Freundin Sandra gewesen.
Manches Mal war sie in blütenweißen, glattgebügelten Volantröcken erschienen, denn ihre Mutter hatte sie liebendgern festlich herausgeputzt. Und nun schau sie einer an, mit ihrem adrett geschminkten Gesichtchen einer Barbie, wie Sandra nie eine hatte. Wie er sie wohl verführt hat? Jofre-der-Vater-ihrer-Freundin, der wahrlich keinen Respekt mehr verdient? Dolors stellt sich vor, wie sie sich zufällig in einem Geschäft begegnet sind, ah, hallo Mònica, wie geht es dir?, und Mònica antwortete, danke, gut, was kaufen Sie gerade ein? Schrauben, ach, das ist ja interessant, ich kaufe Muttern. Wollen wir uns nicht duzen, Mònica? Bitte, sonst fühle ich mich gleich
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