Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
steinalt, oder wirke ich etwa so auf dich? Da hat Mònica sich bestimmt in Positur geworfen, kokett ihre Lippen befeuchtet, alles im Scherz natürlich, und gehaucht: Nein, wie kommst du darauf? Du siehst noch verdammt gut aus, ehrlich.
Was wirklich allmählich gut aussieht, das ist der Ansatz für den Rollkragen, den sie anstrickt, wenn sie das Rückenteil fertig hat … Wo war sie noch gleich mit ihren Gedanken? … Ach ja, bei Jofre und seinen Schrauben. Gewiss hat er dann Mònica auf einen Drink eingeladen, und sie haben sich in eine Bar gesetzt, und dort wird Mònica Jofre zum ersten Mal mit anderen Augen gesehen haben. Denn irgendwann auf dem Weg zum Erwachsensein entdeckt man plötzlich, dass die unsichtbare Schranke zwischen einem selbst und den Erwachsenen gar nicht existiert und man womöglich viel mehr Macht besitzt als die Menschen, denen man bis vor kurzem noch gehorchen musste. Dolors war das so mit den Nonnen ergangen, im letzten Jahr vor dem Abitur, dabei waren sie bis dahin für sie die Hüterinnen der absoluten Wahrheit gewesen.
Eduard hatte sich in jenen Jahren allerdings genau in die andere Richtung entwickelt, er wurde vom Mann zumKind. Hatte er seine Frau früher links liegen gelassen, so betete er Dolors nun an wie eine Göttin und ihrerseits Hüterin der absoluten Wahrheit, so wie sie selbst früher die Nonnen bewundert hatte. Und das nährte ihren Hass nur noch mehr. Irgendwann musste die Fabrik dann schließen, und Eduard tat fortan nicht anderes mehr, als zu fegen, zu spülen, zu putzen, Betten zu machen. Nun war er vollkommen zu ihrem Dienstmädchen beziehungsweise ihrer Haushaltshilfe geworden. Seinen Stolz hatte er gänzlich verloren, und ein Mann, der keinen Stolz mehr hat, ist einfach ein Nichts. Und Eduard war am Ende, mutlos und zutiefst deprimiert.
Dolors lief die Galle über, und sie beschloss, dass sie so nicht mehr weiterleben konnten und etwas geschehen musste. Verlassen konnte sie ihn nicht, denn das hätte ihn dazu verdammt, betteln gehen zu müssen. Also blieb ihr nur eine Lösung. Der Gedanke kam ihr eines Tages, doch sie verwarf ihn gleich wieder, nicht mit Entsetzen, wohl aber mit einem gewissen Grausen. Als er ihr das zweite Mal kam, fand sie ihn schon gar nicht mehr so töricht. Und beim dritten Mal erschien er ihr sogar gut. Also dann, hatte sie geseufzt, packen wir es an, Dolors. Es gab viel zu tun, doch eines war klar. Um die Sache in Ordnung zu bringen und auch um Eduard einen Gefallen zu tun, gab es nur einen einzigen Weg: Er musste sterben.
Die Schulterpartie
»Ich bin schwul.«
Die Einzige, die nach diesem Geständnis weiterisst, ist Dolors, während Sandra einen Hustenanfall vortäuscht und sich die Serviette vor den Mund hält. Leonor wirkt auf einmal wieder völlig hilflos und eingeschüchtert und wirft ihrem Gatten einen ängstlichen Blick zu. Und was tut Jofre? Er sitzt da und starrt Martí wie hypnotisiert an. Dolors fühlt sich unwohl, als Einzige zu essen, und legt ihre Gabel schließlich doch zur Seite. Bedächtig streicht Martí mit einer Hand über die Tischdecke und hält dem Blick seines Vaters ruhig stand.
»Ich werde mit Dani zusammenziehen. Deshalb erzähleich’s euch. Ich wollte, dass ihr wisst, warum. So etwas Wichtiges möchte ich schließlich nicht vor euch verheimlichen. Und außerdem habt ihr ja auch kein Problem mit dem Schwulsein, ihr seid ja verständnisvolle Eltern.«
Bravo, Martí, Dolors lächelt innerlich, was für ein wundervoller Schachzug, damit hast du Jofre in eine schöne Zwickmühle gebracht, jetzt hat dein Vater keine andere Wahl, als sich aufgeklärt und tolerant zu zeigen, wenn er eine gute Figur abgeben und der moderne Vater sein will, der er immer zu sein behauptet. Leonor und Sandraschweigen noch immer, aber Sandra nimmt nun wenigstens wieder die Gabel in die Hand und steckt sich ein Stück Fleisch in den Mund. Ausgerechnet die magersüchtige Sandra ist jetzt die Erste, die wieder isst. Da greift auch Dolors zu ihrem Besteck, denn sie hat großen Hunger. Leonor bricht schließlich das Eis.
»Und wovon willst du leben?«
Nicht schlecht: Ihre Tochter macht einen großen Bogen um das eigentliche Thema, und Martí nutzt die Gelegenheit, um aus der verfänglichen Situation herauszukommen.
»Och, da mach dir mal keine Sorgen. Ich arbeite schon seit einer Weile für Dani und noch ein paar andere Musiker. Es gibt nur wenige Computerexperten, die sich auf Musik spezialisiert haben. Ich verdiene also ganz gut. Und
Weitere Kostenlose Bücher