Die Wuensche meiner Schwestern
schöner aus als ich. Aus Ihrem Mund klingt er wie ein Gedicht.«
Vic fügte sich mit eindrucksvollem Schauspieltalent. Sein voller Name lautete Victor José Carlos Oliveira . Aubrey ließ ihr Erdnussbutter-mit-Marmelade-Sandwich sinken.
»Ich habe ihn eben auf dem Rasen der Bibliothek aufgelesen«, erklärte Mariah ein wenig aufgekratzt. »Er möchte ein paar Kinderbücher ausleihen, die er seiner Nichte vorlesen kann. Ist das nicht lieb von ihm? Und ich habe zu ihm gesagt, niemand könne ihm dabei besser helfen als du, Aubrey. Da bin ich mir ganz sicher.«
Aubrey befürchtete, dass sie rot anlief – nicht wegen Mariahs Kompliment, sondern weil diese ihr chronisches Singledasein auch nicht hätte deutlicher machen können,wenn sie es durch die Lautsprecher des Football-Feldes trompetet hätte.
In ihren frühen Zwanzigern, als sie noch vorsichtige Erkundungen auf dem Gebiet der Romantik und der Dates zu machen wagte, hatte Aubrey versucht, ihre eigene Form der »sexy Bibliothekarin« zu kultivieren. Welcher Mann phantasierte nicht von heißen, jungen Bibliothekarinnen? In den Hochglanzmagazinen – denen am Zeitungskiosk und denen, die in undurchsichtigen Plastikhüllen versandt wurden – erschienen Bibliothekarinnen wie das pure Verlangen. Es hatte etwas mit dem Zusammenprall nackter, glänzender Körper und der staubigen Sterilität alter Bücher zu tun. Mit gebildeten Frauen, die abgeschiedene Stunden in strenge geistige Arbeit vertieft verbrachten – nur um irgendwann ihr zusammengebundenes Haar zu öffnen und ganz unabsichtlich den Hemdknopf zwischen ihren Brüsten zu lösen.
Doch leider war Aubrey schüchtern, ungeschickt und übertrieben praktisch veranlagt. Ihre Frisur war ein Reinfall, und ihre Augen waren eine Naturkatastrophe. Ihr taten vom langen Stehen die Füße weh, also trug sie der Bequemlichkeit halber orthopädische Omaschuhe. Sie kaufte im Secondhandladen ein, weil sie keinen Grund dafür sah, den vollen Preis für Kleidung zu bezahlen, und weil es ihr bis zu einem gewissen Grad ganz recht war, wenn die Leute ihr keine Beachtung schenkten. Als Vic nun groß und muskelbepackt im Pausenraum der Bibliothek vor ihr stand, fühlte sie sich so bibliothekarinnenhaft wie noch nie zuvor – so sexy wie veraltete Enzyklopädiebände.
Jeanette schien jedoch keine ihrer Bedenken zu teilen.
»Ich habe ihn zuerst gesehen«, flüsterte sie.
Von diesem Tag an tauchte Vic regelmäßig auf. Wenn Aubrey zur Nachmittagsschicht erschien, fand sie ihn manchmal im Kinderbuchbereich so tief in einem bunten Sitzsack versunken, dass sich seine Knie auf Höhe seinerOhren befanden, während er die Bücher durchstöberte, die vor ihm auf dem Boden ausgebreitet lagen. Die Hüftknochen gegen die Ausleihtheke gepresst, auf deren anderer Seite Vic stand, unterhielt sie sich mit ihm darüber, welche Bücher seiner Nichte gefallen könnten, welche Bücher ihm gefallen könnten – er las am liebsten Biographien und Lebensberichte –, und zu ihrer Überraschung fragte er sie sogar, welche Bücher sie selbst mochte.
»Ach, ich lese alles Mögliche«, hatte sie ihm geantwortet. »Aber ich schätze, ich mag die sanften Bücher am liebsten. Die, nach denen sich das Herz anfühlt wie der Bauch nach einem guten Essen.« Sie schämte sich natürlich sofort für diese Antwort, weil Vic sie ansah, als ob ihr ein drittes Auge gewachsen wäre, weil gute Leser ganz andere Bücher mögen sollten und weil sie nie das Richtige sagen oder tun konnte, wenn es um Männer ging. Vor allem nicht, wenn diese Männer sich nicht scheuten, ihr ins Gesicht zu blicken, während sie sprach, und wenn sie so groß und so verlockend waren wie ein Wassereis an einem heißen Tag.
Doch trotz all der Unbeholfenheit und Befangenheit, die sie verspürte, wenn Vic auftauchte, freute sie sich auf seine Besuche in der Bibliothek oder zu Hause. Sie fieberte ihnen regelrecht entgegen. Einmal machte sie die Kleiderstange im Flurschrank absichtlich kaputt, damit Mariah ihn zum Reparieren rufen würde. Doch wenn er dann mit dem Werkzeuggürtel um die Hüften in der Strickerei erschien, sagte und tat Aubrey unweigerlich das Falsche. Und um sich nicht zu blamieren und ständig wie ein liebeskranker Welpe um ihn herumzuschleichen, entschuldigte sie sich meistens, sobald er mit der Arbeit begann, und ging in ihr Schlafzimmer.
Sie hatte auch schon überlegt, etwas für ihn zu stricken. Es wäre so einfach. Sie würde handgefärbte Alpakawolle verwenden, eine mit
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