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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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der Verlobung mit von Bragelsdorf, hatte Viktor ge sagt. Ein Alter, in dem man durchaus Erinnerungen abspeicherte. Seine Kindheit erschien ihm wie ein tiefes schwarzes Gewässer, aus dem ihm nur Elisabeth und Gunther von Bragelsdorf entgegenleuchteten. Bojen in aufgewühlter See, die ihm keine Ret tung brachten, sondern ihn wie Irrlichter narrten. Auf seiner Zunge kribbelte es, ein süß-saurer Geschmack breitete sich aus und verflog in Sekundenschnelle. Weg, abgetaucht und verloren die Spur. Wenn es überhaupt eine gewesen war. Vielleicht war er wirklich kurz davor, verrückt zu werden. Ein Einsiedler, ein Sonderling. Auch wenn er sich keine Leichen anschaute, wie Katja glaubte.
    Adrian schloss den Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch türmten sich Dokumente, Kontoauszüge, Belege, die darauf warteten, abgeheftet zu werden. Er kramte in den Unterlagen des Bestattungsinstituts. Irgendwo war da eine Handynummer. Für Notfälle, hatte sie gesagt. War sein Zustand Notfall genug? Adrian wählte und hielt den Atem an.
    »Kann ich dich sehen?«, platzte er ohne Einleitung heraus.
    »Klar. Wann und wo?« Sie schien sich nicht über seinen Anruf zu wundern.
    »Jetzt. In Elisabeths Wohnung.«
    »Yepp. Bin gleich da.«

* * *

    Adrian erwartete Henry auf dem Gehweg vor dem Haus. Hinter dem verspielten Eisentor erkannte sie im Halbdunkel einen üppig bepflanzten Vorgarten. Sandsteindekor zierte die Fassade, an der filigrane Balkone wie Vogelnester klebten. Erker und runde Türmchen streckten sich noch vom Dach aus weiter in den Him mel. Neben dem Eingang rankte ein Rosenstrauch bis zu den Fens tern der ersten Etage.
    Gemeinsam gingen sie nach oben. Adrian öffnete die Tür, machte Licht, blieb im Flur stehen und sagte nichts. Henry schlenderte langsam durch die Räume.
    »Warum sind wir hier?«, fragte sie, als sie die Runde beendet hatten, und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen.
    »Ich weiß es nicht.«
    Henry nahm seine Hand und zog ihn ins Wohnzimmer. Sie sog die Atmosphäre in sich auf, analysierte jede Kleinigkeit.
    Neben dem Fenster ein großer, schwerer Sessel, auf dem eine gefaltete Decke lag, seitlich davon ein Abstelltisch mit Buch und Lesebrille, gegenüber ein Fernsehapparat. Sie schürzte die Lippen und dozierte in Sherlock-Holmes-Manier: »Ihr Lieblingsplatz, ist nicht schwer zu erraten.« Sie deutete auf das Sofa an der Wand unter dem Porträt. »Für Besucher. Scheint unbequem zu sein, wurde selten benutzt. Sieht aus, als ob man sich nur auf die Kante setzt, die Knie zusammenpresst und hofft, dass man bald wieder gehen darf.«
    Sie schaute sich weiter um, ohne seine Hand loszulassen oder sich von der Stelle zu bewegen. »Teure Möbel, ein Bücherschrank voller Klassiker, die nach der Farbe des Einbands sortiert und wahrscheinlich auch danach ausgewählt worden sind. Keine Fotos, keine persönlichen Gegenstände, keine Erinnerungsstücke.«
    Keine Wärme, ergänzte Henry im Stillen.
    »War das hier immer so?«
    Adrian nickte.
    »Ein Zimmer, das auf den ersten Blick nichts über den Menschen preisgibt, der hier gewohnt hat. Aber genau das sagt schon eine Menge. Du weißt auch nicht viel über sie, oder? Sie hat immer hinter dieser Fassade gelebt.«
    Seine Hand zuckte. Sie ließ los und setzte sich mit Schwung in den Sessel. Adrian öffnete den Mund, aber Henry kam ihm zuvor.
    »Ihr Sessel. Niemand sonst durfte ihn benutzen.« Sie kniff die Augen leicht zusammen, blieb aber sitzen. »Mein Thron, mein Reich, meine Bibliothek – meine Angestellten?«
    Adrian nickte wieder.
    Sie nahm die Lesebrille auf, hielt sie in die Höhe und warf einen verzerrten Blick hindurch auf Adrian. »Ich bin wohlhabend, ich bin elegant, unanfechtbar, unantastbar, unerreichbar, unverwundbar.« Die Brille wanderte wieder an ihren Platz neben Thomas Manns Buddenbrocks. »Ich bin unverwundbar, weil ich unerreichbar bin.«
    Henry schnellte aus dem Sessel hoch, packte Adrian, der die ganze Zeit mitten im Raum gestanden hatte, an beiden Armen und zog ihn mit sich zu Boden.
    »Perspektivenwechsel!«
    Sie überkreuzte die Beine im Schneidersitz und lehnte den Rücken gegen die massive Schrankwand, der sie einen missmutigen Blick über die Schulter schenkte. »Eiche rustikal, gediegen, langlebig, langweilig.«
    Sie strich sich die roten Haare aus dem Gesicht, die sie heute offen trug. In der feuchten Herbstluft draußen hatten sie sich zu störrischen Locken gekräuselt.
    »Ich halte alle auf Distanz. Ich schließe mich ein in

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