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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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entlang. Ihr linkes Bein befand sich weiter in gemütlichem Tiefschlaf und verweigerte bei jedem zweiten Schritt den Gehorsam. In ihrer Erinnerung kramte sie nach dem Weg zum Badezimmer. Weiß und rosa, wie ein Kleinmädchenprinzessinnentraum. Mit einem eigentümlichen, flüchtigen Geruch, der sie an etwas erinnerte, aber sich nicht fassen ließ. Es musste Elisabeths Geruch sein. Die ganze Wohnung dünstete diesen Duft aus, aber hier im Bad war er am stärksten erhalten geblieben.
    Während sie noch einmal tief durch die Nase einatmete, begann sich ihr Kopf zu drehen, und der letzte Obstler stieß ihr unangenehm brennend und sauer auf. Höchste Zeit zu handeln. Gegen den zu erwartenden Horror des Katers gab es nur eine Waffe. Sie klappte den Toilettensitz nach oben, schloss die Augen und entsorgte, was auch immer sich in ihrem Magen befand. Der anschließende Blick in den Spiegel bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie sah bei Weitem elender aus, als die meisten ihrer Kunden.
    »Da hilft nur noch Airbrush. Make-up reicht nicht«, murmelte sie. Ihre Stimme klang ebenso pelzig, wie sich ihre Zunge anfühl te. Auf ihrer linken Wange prangte der Abdruck von Adrians Gür telschnalle. Sie musste stundenlang auf ihm gelegen haben. Eine plötzliche Hitze ballte sich in ihrem Bauch zusammen. Sie riss den Wasserhahn bis zum Anschlag auf und hielt den Kopf darunter.
    »Kühler Kopf, kühler Kopf, Henriette Körner!«, schimpfte sie dabei und nahm ein paar große Schlucke Leitungswasser.
    Sie mussten heute seine Mutter beerdigen. Und Katja Leger würde da sein. Adrians Freundin. Er hatte ihren Namen heute Nacht zum ersten Mal erwähnt.

* * *

    Viele Stunden hatte er gestern in der Kälte gewartet. War am Mainufer hinter dem »Sudfass« Runden gelaufen, hatte sich überall dort herumgetrieben, wo László üblicherweise anzutreffen war. Aber László war nicht gekommen.
    Erst lange nach Mitternacht war Jürgen in sein Versteck zurückgekehrt. Er konnte nicht glauben, dass László ihn im Stich ließ. Nach der Sache mit dem gestohlenen Wagen hatte er ihm zwar Prügel angedroht, aber ihm dann doch nichts getan. »Du dämlicher kleiner Wichser«, und zwei harte Schläge gegen den Hinterkopf, waren alles gewesen, was er zur Strafe hatte einstecken müssen. Dann hatte László ihn in den Arm genommen. Sie waren wie Brüder.
    Rückwärts schob er seine Beine durch das Loch ins Freie. Doch ehe er das Dach des Schuppens unter den Füßen spürte, packten ihn vier Hände und zerrten in nach unten. Er heulte auf vor Angst. Diesmal durfte er nicht mit Milde rechnen.

* * *

    An Katjas Seite durchschritt Adrian die Friedhofskapelle. Seine Schuhe knarrten laut in der Stille. Vor dem Sarg blieb er stehen. Katja senkte den Kopf, wartete einige Sekunden, die sie wohl für notwendig hielt, um ihre Solidarität und Anteilnahme zu bekunden, und setzte sich dann. Adrian starrte auf das weiße, geruchsneutrale Blumenbouquet. Henry hatte Wort gehalten. Den Sargwagen verdeckte ein wallender, schwarzer Samtüberwurf, der auf dem Boden Falten warf, dazwischen Gläser mit brennenden Teelichtern und zarte Blütenblätter.
    Vielleicht hätte er jetzt Ehrfurcht empfinden sollen, Reue, Bedauern, Schmerz, aber er fühlte nur das Verlangen nach einer weiteren Kopfschmerztablette und mehreren Litern Wasser, um den Nachbrand zu bekämpfen. Sich selbst zum Erbrechen bringen, hatte er nicht gekonnt. Ein dumpfes Dröhnen füllte seinen Kopf. Dass Elisabeth wirklich in der Kiste aus hellem Holz vor ihm lag, kam im völlig unsinnig vor.
    Hinter ihm füllte sich die Halle, und wer ihn da stehen sah, minu tenlang den Blick fest auf den Sarg gerichtet, musste zwangsläufig glauben, einen trauernden Sohn vor sich zu haben. Ein verständlicher Irrtum.
    Wie Elisabeth jetzt wohl aussah? Der gehütete, gepflegte Körper, den sie alterslos zu bewahren versucht hatte, musste jetzt doch faltig sein. Henry hatte ihm immer wieder empfohlen, sie noch einmal anzuschauen. Abschied zu nehmen. Wie hätte er ihr sagen können, dass er Elisabeth, wenn überhaupt, am liebsten nackt hätte sehen wollen, um sich der Genugtuung hinzugeben, dass es ihr nicht gelungen war, ewig jung zu bleiben? Um sich zu überzeugen, dass sie endlich doch eine alte Frau war wie alle anderen und den Kampf gegen den Lauf der Zeit verloren hatte. Er wollte sie ansehen und sagen: Du bist alt und du bist hässlich, Mutter. Und doch schreckte selbst jetzt etwas in ihm davor zurück, sie so zu nennen. So

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