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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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meinem Schloss, bin mein eigener Schatz. Bin sicher und eingeschlossen. Weggeschlossen, ausgeschlossen. Sieh dir das an, Adrian! Dieses Leben war ein Leben in einem Möbelprospekt, ohne Eigendynamik, ohne Unebenheiten und ohne Vergangenheit. Sie muss unendlich einsam gewesen sein.«
    Adrian hörte zu, doch sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass seine Gedanken ganz andere waren. Er zog die Beine an, legte die Ellbogen auf die Knie und ließ die Unterarme dazwischen baumeln. Henry nahm instinktiv die gleiche Haltung ein, versuchte, seinem leeren Blick zu folgen. Minutenlang verharrte sie so neben ihm, stupste ihn schließlich leicht mit der Schulter an. »Was siehst du?«
    Adrian runzelte die Stirn, als ob er angestrengt nachdachte, und verzog dann das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Die Hausbar«, sagte er und sprang auf. Henry beobachtete ihn, wie er das Barfach aufklappte und die Spirituosen begutachtete. Für einen Moment hatte sie geglaubt, die Auster würde sich öffnen. Dass er diesen Ort für ein Treffen gewählt hatte bedeutete, dass sich etwas in ihm bewegte. Das war gut. Aber sie durfte nicht drängeln.
    »Womit fangen wir an?«, wollte er wissen.
    Sie spähte an ihm vorbei auf ein Sortiment an Flaschen, die in den unterschiedlichsten Farben schillerten. »Das ganz links, ist das Eierlikör? Dann nehmen wir den.«
    Adrian gab einen leicht angeekelten Ton von sich.
    »Heul doch! Du hast mich gefragt, und ich will Eierlikör. Meine Oma hat den früher selbst gemacht, der war dick wie Pudding.«
    Adrian kehrte mit zwei Gläsern und der Flasche zurück. »Der hier auch«, erklärte er und drehte die Flasche um. Der Inhalt bewegte sich nicht. Henry nahm sie ihm aus der Hand, schüttelte sie kräftig und verpasste ihr dann einen Schlag auf den Boden. Sie schraubte den Deckel auf, Zuckerkristalle knirschten, und mit einem schmatzenden Geräusch ergoss sich die zähflüssige Masse in die Gläser.
    »Mist«, entfuhr es Adrian. »Ich hatte gehofft, wir kriegen den nicht raus. Den nächsten suche ich aus.« Er kippte den Likör has tig herunter. »Aquavit«, verkündete er dann, und Henry rollte die Augen.
    »Okay, das ist dann wohl meine Strafe für den Eierlikör.«
    Diesmal brachte er gleich einen ganzen Arm voll Flaschen mit, die er auf dem Boden aufreihte, ehe er sich setzte. Dann schenkte er die klare Flüssigkeit in die zuvor benutzten Gläser. Unappetitliche Schlieren bildeten kleine Wirbel.
    Henry warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Hör mal, nur so aus Neugier«, sie tippte nacheinander die Flaschenhälse an, »wir sind also hier, um uns gemeinsam zu besaufen?«
    Einen Augenblick zögerte Adrian, überlegte und stierte in sein Glas. »Das sieht aus, als hätte einer …«
    »Was?«
    »Reingewichst«, sagte er und schluckte den Aquavit.
    Henry grinste und tat es ihm nach. »Schmeckt aber anders.«
    Verblüfft guckte er sie an, dann lachte er leise. »Ja. Nein, also, zu deiner Frage: Ja, ich will mich hier und jetzt mit dir volllaufen lassen. Ist das okay?«
    »Ist es. Aber wieso hier?«
    Adrian ließ den letzten Tropfen aus dem Glas auf seine Zungenspitze laufen. »Bessere Auswahl als bei mir zu Hause.«
    »Und wieso noch?«
    »Sag du’s mir.«
    »Das wäre zu einfach. Kirschlikör?«
    Er füllte die Gläser und zählte Flaschen. »Meinst du, wir schaffen es, das alles einmal durchzuprobieren?«
    Sie zuckte die Schulter. »Herausforderungen sind dazu da, sie anzunehmen!«

Tag 10 – Mittwoch
    Als Henry die Augen aufschlug, dämmerte es. Sie hatte einen pappigen Geschmack im Mund, und ihre linke Wange schmerzte. Mühsam versuchte sie, sich zu orientieren. Der erste Umriss, den sie zuordnen konnte, war der einer umgekippten Flasche. Obstler. Schlagartig richtete sie sich auf, um sofort mit jämmerlichem Stöhnen wieder zurückzusinken. Ihr Gesicht landete auf einem Bauch. Unter ihr lag Adrian, der leise schnarchte.
    »Scheiße«, murmelte sie und schüttelte ihn vorsichtig. Sein Pullover war ein Stück nach oben gerutscht. Ganz langsam brachte sie ihren Oberkörper in die Senkrechte, ohne den Blick abzuwenden. Keine nennenswerten Speckröllchen, stellte sie fest. Muskelansätze zu sehen, aber nicht klar definiert. Haare rund um den Nabel. Hastig drehte sie den Kopf und bereute es umgehend. Ihr Gehirn war eindeutig größer als der umgebende Schädel und drauf und dran, ihn explodieren zu lassen. Die Ziffern auf ihrer Armbanduhr konnte sie nicht erkennen.
    Sie hangelte sich an der Schrankwand

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