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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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Arbeit.« Ungeschickt zog er mit dem Telefon am Ohr die Jacke aus, streifte die Schuhe von den Füßen und setzte sich im Wohnzimmer auf den Sessel.
    »Schon wieder? Ich dachte, es sei alles geklärt?«
    »Ist es auch.«
    »Was tust du dann noch dauernd dort?«
    »Nichts.« Er klemmte die Wasserflasche, die noch vom Vorabend herumstand, zwischen die Knie und öffnete sie mit einer Hand.
    »Und warum gehst du dorthin, um nichts zu tun?«
    Adrian überlegte. Die Fotos waren eine gute Erklärung. Aber von denen wollte er nicht erzählen, und er gestand sich ein, dass er auch ohne diesen Grund wieder hingegangen wäre.
    »Ist es wegen dieser Frau?«, hakte Katja nach.
    »Henry?« Überrascht hielt er inne. »Das ist lächerlich.«
    »Dann sag es mir doch: Warum gehst du dorthin?«
    Er setzte die Flasche an und nahm einen großen Schluck. Das Wasser schmeckte abgestanden. »Soll ich lieber in der Kneipe rumhängen nach dem Dienst? Mit Kollegen einen saufen; würde dir das besser gefallen?«
    »Ja, verflucht noch mal! Das wäre nämlich normal. Merkst du nicht, wie merkwürdig du dich verhältst? Du sitzt Tag für Tag in einem Bestattungsinstitut und siehst dir Leichen an!«
    Voller Unbehagen drehte Adrian die Schultern, neigte den Kopf zur Seite, als ob er einem Schlag ausweichen wollte. Wie sollte er erklären, was er selbst nicht verstehen konnte? Er verspürte keine Lust, Katja gegenüber Rechenschaft abzulegen. Sah keine Notwendigkeit, darüber überhaupt nachzudenken. Er ging dort eben hin, blieb eine Weile und sah Henry zu. Weiter nichts. Auch vorhin war er auf dem Nachhauseweg beinahe wieder in Richtung Höchst abgebogen. Hätte er es getan, wäre ihm ihr Anruf wieder entgangen.
    Er nahm die Brille ab, klappte sie sorgsam zusammen und legte sie auf den Tisch. Langsam rieb er sich mit dem Handballen über die Augen. »Ich habe heute noch mal mit Viktor gesprochen«, sagte er dann. Ein weiteres kniffliges Thema, das er anschnitt, ohne das vorherige beendet zu haben.
    »Viktor? Das klingt so«, sie unterbrach sich, »so vertraut. Und wieso überhaupt noch mal? Ich dachte, ein Gespräch genügt.«
    Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er ihr noch nichts von den beiden gestrigen Treffen erzählt hatte. Nur Henry wusste davon. Es war so viel einfacher mit ihr als mit Katja.
    »Das ist nur, weil … Er ist schon irgendwie, na irgendwie in Ordnung. Hör zu, ich erkläre dir das alles in Ruhe, ja? Tut mir leid, Katja, ich bin im Moment einfach ein bisschen im Stress. Morgen ist die Beerdigung, danach wird sich alles wieder normalisieren.«
    »Das hoffe ich!«
    Er wusste nichts mehr zu sagen und wartete einfach ab, bis sie auflegte.
    Eine Weile wanderte er durch die Wohnung, aber er kam nicht zur Ruhe. Zu viele Gedanken, denen er nicht nachgehen und die er auch mit niemandem teilen wollte. Um sich abzulenken, holte er das Bügelbrett aus der Ecke und baute es mitten im Wohnzimmer auf. Bügeln entspannte ihn. Diese Tätigkeit hatte für ihn beinahe etwas Meditatives an sich. Manchmal ließ er sich dabei vom Fernsehprogramm berieseln oder hörte Radio, aber heute schob er das Eisen in völliger Stille über das Brett. Er machte das gerne, auch wenn Katja jedes Mal den Kopf darüber schüttelte. Katja brachte ihre Sachen in die Reinigung, um Zeit zu sparen. Aber er hatte Zeit. Vielleicht fehlte ihm ein Hobby oder Freunde, mit denen er seine Abende sinnvoller und angenehmer verbringen konnte als mit Hausarbeit. Katja hatte viele Freunde, Katja war überall beliebt, Katja konnte über alles reden und wusste für jedes Problem eine klare Lösung. Tatsächlich fiel ihm auch jetzt kein einziger Kollege ein, mit dem er all das, was er nicht einmal zu benennen vermochte, in der Kneipe hätte herunterspülen können. Oder wollen.
    Er plättete nacheinander einen Stapel Hemden und zwei Hosen. Ab und zu hob er den Kopf und schaute auf das Haus gegenüber, erwischte sich dabei, dass er darauf wartete, die kleine Familie zu sehen. Dieses Kind würde sich später problemlos an beide Eltern teile erinnern. An glückliche Momente. Vielleicht auch an Streit. Und er? Adrian zog den Stecker des Bügeleisens aus der Steckdose und hängte die Hemden im Schlafzimmer in den Schrank.
    Seit er mit Viktor gesprochen hatte, versuchte er angestrengt, Bilder aus der Vergangenheit ans Licht zu holen. Viktor hatte ihn beobachtet, Treffen provoziert, die Elisabeth in Rage versetzt hatten. Beim letzten musste Adrian fast vier Jahre alt gewesen sein. Kurz nach

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