Die Würde der Toten (German Edition)
meistens, und sie hatte sich seinem Verhalten angeschlossen. Seither herrschte frostige Distanz zwischen ihnen.
Mechanisch spulte Adrian nun die erforderlichen Sätze ab, bis niemand mehr übrig war, der kondolieren wollte. Es überraschte ihn, dass überhaupt so viele Leute gekommen waren. Soweit er das beurteilen konnte, war keiner von ihnen mit Elisabeth befreundet gewesen. Umständlich verstaute er die gesammelten Beileidskarten in der Jackentasche, in der zuvor Viktors Briefe gesteckt hatten.
»War sie das vorhin, die berühmte Henry?«, fragte Katja wie nebenbei, als sie sich schließlich vom Grab entfernten. Über die Friedhofsmauer schallte helles Lachen aus einem nahe gelegenen Kindergarten. Adrian nestelte an seinem Schlips herum. Er engte ihn ein. Schlimmer noch als das neue schwarze Hemd, das Katja ihm extra besorgt und das er trotzig doch nicht angezogen hatte.
»Die kleine dicke Rothaarige, in dem zu engen Anzug. War sie das?« Katjas Gesichtsausdruck wirkte verkrampft.
»Hmhm, ja, war sie.« Er packte ihren Arm am Ellbogen, bog nach links von einem der kiesbestreuten Nebenwege auf den asphaltierten Hauptweg ein und steuerte sie in Richtung Ausgang.
»Hör auf, an mir herumzuzerren! Wo willst du überhaupt hin?«
»Kaffeetrinken.«
»Wie bitte?«
»Leichenkaffee. Ist hier so üblich. Macht man in Bayern doch auch.«
»Ich dachte, das hier auf dem Friedhof reicht! Du hast tatsächlich so eine Feier ausgerichtet?«
»Nein. Eigentlich hat’s Henry für mich gemacht.« Herausfordernd schaute Adrian sie an. »Weißt du, die kleine, dicke Rothaarige im zu engen Anzug. Die hat sich nämlich um alles gekümmert.«
»Ach ja? Und um dich wohl ganz besonders, was?«, zischte Katja . »Meinst du wirklich, ich habe nicht gemerkt, wie du sie angestarrt hast, in der Trauerhalle?«
»Unsinn!«, wiegelte Adrian ab und beeilte sich, ihr ein paar Schritte voraus zu sein, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte . Das Blut schoss ihm in den Nacken und die Adern an seinen Schläfen begannen, heftig zu pochen. Er knirschte mit den Zähnen vor Anspannung bei dem Gedanken, sie könne noch mehr bemerkt haben.
* * *
Henry parkte den Leichenwagen im Hof und versuchte auf dem Weg ins Haus den tiefen Pfützen auszuweichen, die sich regelmäßig mit neuem Regen füllten. Grimmig richtete sie den Blick zum Himmel. Es tröpfelte schon wieder. Dass es für die Dauer der Beisetzung trocken geblieben war, grenzte schon fast an ein Wunder. Dass sie vor Nervosität nicht bäuchlings neben den Kränzen in der Halle gelandet war, allerdings auch. Sie hasste den Gedanken daran noch mehr als den Regen.
Sie ließ die Schuhe hinter der Kellertür stehen, tappte auf Socken zu ihrem Spind und entledigte sich des feierlichen Anzugs. Zivil war so viel besser. Jetzt brauchte sie einen Kaffee und dann am besten eine Menge Arbeit. Richtig viel Arbeit.
Katja Leger hatte sie schlicht aus der Fassung gebracht. So schön und so ein kalter Blick, der erst auf Adrian geruht und dann sie getroffen hatte. Sie schlug die Schranktür zu. Elisabeth von Bragelsdorf war eine ihrer Klientinnen gewesen, und nun war sie abgehakt. Ein bisschen Papierkram noch, der fertiggemacht werden musste. Das konnte sie alles per Post erledigen. Und wenn Adrian halbwegs vernünftig war, würde er das genauso machen. Damit war das Thema beendet und Geschichte. Aus die Maus. Ein ge meinsames Saufgelage machte noch keine Freundschaft. Ab sofort gehörte ihr der Keller wieder allein, und sie würde garantiert so schnell nicht wieder herauskommen, um sich mit Angehörigen herumzuärgern. Sie würde Leichen versorgen, und wenn Moosi meinte, alles sei in Ordnung, dann war es das eben. Basta!
Just in dem Augenblick, als sie die klemmende Schranktür zum dritten Mal zuschlagen wollte, klingelte ihr Telefon im Versorgungsraum.
»Was?«, schnauzte sie unfreundlich in den Hörer.
»Henry? Ich brauche deine Hilfe!«
»Nicht schon wieder, Jürgen, das hatten wir doch gerade.«
»Diesmal ist es anders, Henry. Die töten mich!«
Sie hörte ihn unterdrückt schluchzen, aber ihr Mitleid hielt sich in Grenzen.
»Hör auf mit dem Geflenne, das zieht bei mir nicht. Schlimm genug , dass du deinen Vater in Panik versetzt mit deinen verfluchten Märchen. Mich nicht! Du kriegst keinen Cent.«
Jetzt heulte er laut auf. »Henry! Die haben mich. Und … ich habe ein Messer am Hals.«
Der Ton gefiel ihr nicht. Sein Zustand war bedenklich, vielleicht war er zugedröhnt und glaubte,
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