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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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undeutlich erkennen konnte. Einem plötzlichen Impuls folgend zog er sich aus. Warme, feuchte Nebelwölkchen hüllten ihn ein, streichelten seinen Körper, versetzten ihn in einen wohligen Erregungszustand. Jetzt wollte er Sex, hier unter der Dusche, einfach so. Vorsichtig zog er den Vorhang beiseite, kletterte zu ihr und rieb seinen Körper auffordernd an ihrem, sog den Pfirsichduft ihres Shampoos ein. Katja küsste zärtlich seine Nasenspitze – dann drehte sie den Duschstrahl auf kalt. Mit Hinweis auf ihren engen Zeitplan und sein unpassendes Timing verwies sie ihn lachend des Feldes. Mehr als das gemeinsame Frühstück war nicht drin gewesen.
    Schlecht gelaunt trommelte er auf das Lenkrad und bremste ruck artig. Stop and go. Drei Meter vor, anhalten, warten. Das passte zu seiner Laune. Wieder bestimmten äußere Umstände, was er zu tun und zu lassen hatte.
    Kurzentschlossen lenkte er den Wagen auf die Abbiegerspur. Er war dran zu entscheiden. Und er entschied, noch vor dem Dienst einen Abstecher ins rechtsmedizinische Institut der Johann-Wolfgang-Goethe Universität zu machen. Das bedeutete einen Umweg, eine qualvolle Parkplatzsuche und haufenweise unangenehme Erinnerungen, ausgelöst allein durch den Geruch, bei dem er die von einer Pathologenhand herabbaumelnden Gedärme eines Menschen bei der Obduktion vor Augen hatte.
    Eine halbe Stunde später gelang es Adrian, einen der Mediziner zu einem kurzen Blick auf Henrys Leichenfotos zu bewegen. Auch hier herrschte Termindruck. Ohne offiziellen Auftrag der Staatsanwaltschaft war es unmöglich, mehr als ein Statement zwischen Tür und Angel zu ergattern. Und auch das gab es nur, weil Adrian mit Georg Böhmer bereits ein paar Mal dienstlich gut zusammengearbeitet hatte. Mit weit ausholenden Bewegungen durchquerte der Arzt die Gänge, schaute den Bilderstapel von vorne nach hinten durch und wieder zurück. Adrian hetzte neben ihm her und öffnete die Türen, damit Böhmer nicht im Galopp dagegenrannte, solange er sich mit den Fotos befasste.
    »Schwer zu sagen. Wenn ich ihn vor mir hätte, wäre es leichter. Den würde ich mir gerne genauer ansehen.«
    Seine Gummisohlen quietschten in den Kurven.
    »Geht nicht«, erklärte Adrian atemlos. »Die Leiche existiert nicht mehr. Ist ein alter Fall. Es ging mir nur darum, ob ich die Fotos an die Kollegen der Dokuzentrale oder die Lehrmittelsammlung weitergeben kann, für die interne Ausbildung, um zu zeigen, wie ein zweifelhafter Fall aussieht. Als Beispiel, wann man die Gerichtsmediziner zu Rate ziehen sollte.«
    Böhmer bremste nun doch vor einer Zwischentür und schwang den Zeigefinger wie ein Zepter vor Adrians Nase. »Muss! Unbedingt! Nicht sollte. Hier bestehen auf den ersten Blick begründete Zweifel an einem natürlichen Tod. Wenn hier einer etwas anderes attestiert, muss er entweder besoffen oder bestochen sein!«
    Er klatschte Adrian den Packen Bilder gegen die Brust, mit einem Blick, der einerseits Unverständnis darüber ausdrückte, dass jemand überhaupt diese Frage stellen musste, und andererseits ganz klar das Ende des Gesprächs signalisierte.
    »Danke, Dr. Böhmer, genau das wollte ich hören.«
    Nicht hören, verbesserte er in Gedanken. Das nicht. Henry hatte Recht, aber jetzt steckte sie in Schwierigkeiten, und wenn er den Mund hielt, machte er sich mitschuldig.

* * *

    Der Tag zog sich endlos hin. Nach der anstrengenden letzten Woche herrschte heute nahezu eine Flaute. Immer wieder fand Henry sich im Kühlraum wieder, mit der Pappschachtel in der Hand. Sie konnte nicht glauben, dass dieses Stück Fleisch noch vor Kurzem ein Teil von Jürgen gewesen war. Es erschien ihr absurd. Dabei hatte sie schon mehr als einmal mit abgetrennten Gliedmaßen zu tun gehabt. Bei Unfallopfern. Aber das hier war etwas völlig anderes.
    Sie saß herum, starrte die Wand an. Auf dem Fensterbrett stand das Kästchen mit den kleinen Schildern, die auch im Krankenhaus verwendet wurden, um Tote nicht zu verwechseln. Man vermerkte den Namen und das Einstellungsdatum darauf, und befestigte sie dann zumeist am großen Zeh.
    Was, wenn man keinen Zeh zur Verfügung hat?, überlegte sie. Unschlüssig drehte sie eines der Schildchen in der Hand hin und her, dann beschriftete sie es mit Jürgens Namen, setzte in Klammern den überflüssigen Zusatz »Ohr« dahinter und steckte es mit in die Schachtel.
    Beinahe wünschte sie sich, er würde wieder anrufen. Aber sie fürchtete sich auch davor. Das Handy klingelte nicht. Der Doppelpunkt auf

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