Die Würde der Toten (German Edition)
die ganze Hässlichkeit seines Gefängnisses ans Licht. Die Pin-up-Girls an der Wand änderten nichts daran.
Jürgen zog einen Schuh aus und schmetterte ihn gegen die üppige Blondine, die ihm ihre Reize entgegenreckte. Sie hatte Augen wie Svetlana. Wütend schmiss er den zweiten Schuh hinterher. Die war überhaupt an allem schuld. Erst machte sie auf große Liebe , säuselte süße Versprechungen von Familie, Geld und gemeinsamer Zukunft, und dann verpisste sie sich einfach. Hockte jetzt vermutlich mit einem reichen Genossen in seiner Datscha in der Taiga und lachte sich kaputt über ihn.
Wenn Bilanow nicht gewesen wäre, hätten die Russen ihn damals schon plattgemacht. Wobei er nicht mal sicher war, ob es Russen waren oder eher Ukrainer wie Bilanow, Weißrussen, Tschetschenen, Mongolen. War ihm auch egal. Verächtlich spuckte er auf den Boden. Letztlich hatten sie ihn doch alle verladen und benutzt. Auch Bilanow, den er für einen echten Freund gehalten hatte.
Die umgespritzten Autos auszuliefern, war ein guter Job gewesen, und die vorsätzlichen Crashs, um die Versicherung zu schröpfen, hatten richtig Spaß gemacht. Vor allem gemeinsam mit László. Verdammt, László. Es wollte immer noch nicht in seinen Schädel, dass der nicht mehr lebte. Ohne László war er nichts. Der hatte sogar den Kopf für ihn hingehalten, als er im Vollrausch das falsche Auto zerlegt hatte.
Die Kurierdienste hatte er von Anfang an nicht gemocht. Das Zeug machte ihn nervös, brachte ihn in Versuchung. Dafür war er nicht der Richtige. Und wenn er geahnt hätte, dass der Stoff nicht Bilanow selbst gehörte, wäre er nicht so blöd gewesen, etwas abzuzweigen, für den Eigenbedarf und um ein bisschen Extrakohle zu machen.
Er stand auf, holte sich die Schuhe zurück und schlüpfte wieder hinein.
Eigentlich hatte er nie etwas anderes sein wollen, als ein Bestatter. Wie sein Vater. Nur besser und erfolgreicher. Daran war doch nichts verkehrt. Und mit Henry hätte er eine echte Chance gehabt.
Er sank zurück auf den Stuhl und fummelte das Feuerzeug aus der Hosentasche. Immerhin hatte Westermann ihm was zu rauchen dagelassen.
Das mit Henry war danebengegangen, wie alles andere. Versemmelt, weil er ein Idiot war. Jürgen starrte auf die halbnackte Blonde an der Wand, sog den Rauch tief in seine Lunge und lehnte sich zurück. Svetlana hatte auch gute Seiten gehabt. Verdammt gute, an die er sich gerne erinnerte. Warum nicht jetzt? Es gab sowieso nichts, was er tun konnte. Er fixierte das Bild und schob sich eine Hand in die Hose.
* * *
»Lassen Sie es wie einen Unfall aussehen.«
Westermann kaute entspannt ein Croissant und schlürfte einen Coffee-to-go, den er sich auf der Fahrt ins Beerdigungsinstitut besorgt hatte. »Ich hätte gerne eine Wasserleiche.«
Henry knurrte entrüstet. Hier war ihr Revier, und ganz langsam fand sie ihr Gleichgewicht wieder.
»Schmeißen Sie ihn einfach in den Fluss, dann haben Sie eine Wasserleiche! Wozu brauchen Sie da mich?« Erst zu wenig Schlaf, und dann schon wieder dieser Mistkerl mit seinen abartigen Aufträgen, dem sie zu allem Überfluss beim Kaffeetrinken zusehen musste, wo sie doch selbst ganz dringend eine große Dosis Koffein nötig hatte!
Westermann schüttelte fast mitleidig den Kopf. »Sie haben wohl eine Kleinigkeit übersehen.« Bolek zog, auf sein Zeichen hin, den Hemdkragen des Toten beiseite und legte so eine klaffende Wunde am Hals frei. »Das stört das Bild vom Ertrunkenen ein wenig, finden Sie nicht auch, Frau Körner?«
»Ertrunken?«
»Das sagte ich.«
Sein blasierter Tonfall täuschte sie nicht. In seinen Augen glitzerte es gefährlich. Sie durfte sich nicht von seinen herablassenden Bemerkungen reizen lassen. Der Mann hatte deutlich üblere Sachen drauf, als sie wie ein dummes Kind zu behandeln.
Westermann entsorgte den geleerten Kaffeebecher in Loleks Hand und entfernte, mit einer Serviette wedelnd, Brösel von Oberlippe und Schlips.
Henry musste Zeit schinden, um nachzudenken. Was er da von ihr verlangte, bereitete ihr mehr als nur leichte Kopfschmerzen. Eine Weigerung war auf Dauer nicht drin. Angst konnte sie jetzt nicht gebrauchen, die lähmte ihre Phantasie.
Westermann dagegen machte einen sehr entspannten und zufriedenen Eindruck. »Ich habe viel von den Russen gelernt, Frau Körner. Denn ich war bereit zu lernen. In jedem Klischee verbirgt sich die Essenz der Wahrheit. Die Russen verstehen etwas von Ehre, von Motivation und Gehorsam. Eine Autorität gilt dort
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