Die Würde der Toten (German Edition)
Wasser in die Lunge drücken. Aber der Mann … wie lange ist er schon tot? Die Lunge fällt zusammen, nach … ich weiß nicht, wie lange das dauert! Man bräuchte dazu – ich brauche dazu – viel Druck.«
»Alles was Sie wollen, Frau Körner.«
»Ich weiß auch nicht, ob das einen Rechtsmediziner täuschen kann. Wenn Wasser in die Lunge eindringt, wandern Wassermoleküle aus dem Lungengewebe in die roten Blutkörperchen, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Aber dann platzen die Blutkörperchen. Ob das nach dem Tod genauso funktioniert, kann ich nicht sagen.«
»Das wäre aber besser für Sie, Frau Körner.«
»Ich bin keine Ärztin! Woher soll ich das wissen? Warum legen Sie ihn nicht einfach auf die Bahngleise, dann kann es Wochen dauern, bis seine Identität geklärt ist!«
»Gar nicht dumm, das Mädchen, was?« Westermann warf ihr einen anerkennenden Blick zu und forderte auch von Lolek und Bolek Zustimmung ein. »Langsam beginnt Ihr Hirn in die richtige Richtung zu arbeiten. Nur leider muss der gute Mann gefunden und eindeutig identifiziert werden. Der Grund für das Wasser – nun, ich habe einen Sinn fürs Subtile. Steht das Wasser nicht symbolisch für Reinheit und die Vergebung der Sünden? Die be troffenen Leute werden meine Botschaft schon verstehen. Also los. Tod durch Ertrinken gefällt mir. Ist gekauft!«
Henry klemmte die Hände in die engen Taschen ihrer Jeans. »Dann brauche ich Wasser.«
Westermann hob fragend die Augenbrauen.
»Mainwasser oder Niddawasser oder wo immer Sie ihn später abladen wollen. Süßwasser, Salzwasser, Badewasser: Der Rechtsmediziner wird als Erstes prüfen, ob der Tod in dem Gewässer eingetreten ist, in dem der Leichnam gefunden wird.«
Unschlüssig ging Westermann ein paar Schritte auf und ab, blieb dann direkt vor ihr stehen. »Was schlagen Sie vor?«
»Den Main. Der ist größer, viel Bootsverkehr, eine Schleuse bei Offenbach und eine zwischen Griesheim und Goldstein. Dort kann man den Toten so platzieren, dass er bald gefunden wird.«
»Sehr gut! Und das hier?« Er deutete auf die Halsverletzung, die sie nun als tiefe Stichwunde erkannte.
Henry presste sich auf beiden Seiten die Handballen gegen die Schläfen. Ein hämmernder Schmerz überdeckte alle anderen Gefühle und ließ sich nicht wegmassieren.
»Glaube nicht, dass man sich so etwas in einer Schleuse zuziehen kann, selbst wenn er irgendwo ins Getriebe gerät. Am besten wäre es, den Kopf an der Stelle ganz abzutrennen.« Sie unterbrach sich. Hatte sie wirklich vorgeschlagen, dem Mann den Kopf abzuschneiden? Ekel überfiel sie bei ihren eigenen Worten. Doch dann sprach sie langsam weiter. »Eine Schiffsschraube könnte das vielleicht.«
Lolek schubste seinen Kollegen in die Seite und machte grinsend blubbernde Motorengeräusche, während seine Körperhaltung das Steuern eines Motorbootes andeutete. Sie amüsierten sich sichtlich bei der Vorstellung, über dem Toten zu kreuzen.
Westermann schlug zufrieden die Hände ineinander. »Gut, dann wäre das geklärt. Einen meiner Freunde lassen ich Ihnen gleich hier, damit Sie keinen Unfug machen. Der andere kümmert sich um ein paar Liter Mainwasser. Anschließend stehen Ihnen beide zur freien Verfügung. Was immer das Herz der Dame begehrt, Gentlemen!« Er beugte sich mit gönnerhafter Miene zu ihr. »Solange es der Sache dienlich ist und nicht zu viel Zeit kostet! A propos Zeit – ich würde es begrüßen, Frau Körner, wenn Sie nun zügig zu Werke gingen. Ich sähe unsere Wasserleiche, also den Ertrunkenen, gerne in den Spätnachrichten. Und vorher, Sie wissen, müssen meine Freunde noch eine kleine Spritztour mit dem Boot machen.«
* * *
Man sah dem Dragontiger-Sports-Gym von außen an, dass es bis vor wenigen Jahren ein Warenlager gewesen war, denn an der Längsseite des Flachbaus konnte man noch den verblassten Schriftzug eines Autoteilehändlers erkennen. An der Front hingegen prangte groß der Tigerdrache auf strahlend weißem Untergrund.
Durch eine Glastür betrat Adrian einen Vorraum. Auch hier war auf einer Wand das Logo zu sehen, mit feinen Strichen vorgezeichnet. Darunter wartete ein Haufen Sprühdosen auf ihren Einsatz. Offensichtlich war jemand bemüht, dem Studio ein freundliches und einladendes Gesicht zu geben. Auf einer hohen Theke, neben dem Eingang zum eigentlichen Fitnessbereich, stapelten sich Energieriegel neben einem Behälter mit frischem Saft. Dahin ter halb verdeckt, saß ein junger Mann und sortierte
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