Die Würfel Gottes
David war von Elizabeths Reaktion ein bisschen überrascht; er hatte angenommen, dass eine speedsüchtige Nutte für Trauergefühle zu abgebrüht wäre. Aber Dr. Kleinman war der einzige Mensch in ihrem Leben gewesen, der versucht hatte, ihr zu helfen. Zwischen dem alten Physiker und seiner Patentochter hatte es offensichtlich ein starkes
Band gegeben. Vielleicht war das der Grund dafür, warum er die Theorie von Allem in Columbus versteckt hatte.
David setzte sich neben Elizabeth und Monique auf das Bett. Die drei hatten jetzt die Köpfe so eng zusammengesteckt, dass sie sich fast berührten. »Hören Sie, Beth, ich will ganz offen zu Ihnen sein. Wir stecken in großen Schwierigkeiten. Dr. Kleinman hatte ein Geheimnis, ein wissenschaftliches Geheimnis, das viele Leute liebend gern in die Finger bekämen. Hat Hans irgendwelche Papiere bei Ihnen gelassen, als er hierhergekommen ist?«
Elizabeth verzog verständnislos das Gesicht. »Nein, er hat nichts bei mir gelassen. Abgesehen von etwas Geld. So viel, dass ich ein paar Monatsmieten für mein Apartment bezahlen konnte.«
»Was ist mit einem Computer? Hat er Ihnen einen gekauft?«
»Nee, aber er hat mir einen Fernseher besorgt. Und auch ein schönes Radio.« Bei der Erinnerung trat ein Lächeln auf ihr Gesicht, das aber einen Moment später wieder verblasste. »Ich musste die Geräte ins Pfandhaus bringen, als ich meinen Job in der Kaserne verloren habe. Alles, was ich jetzt noch habe, ist ein Karton mit Klamotten.«
Sie zeigte auf einen Pappkarton neben dem Fenster, aus dem Slips, BHs und Nylonstrümpfe quollen. David bezweifelte sehr, dass die Einheitliche Feldtheorie dort drin war. »Also wohnen Sie inzwischen hier? In diesem Zimmer?«
»Manchmal in diesem Zimmer, manchmal in dem nebenan. Harlan kümmert sich um alle Motelrechnungen.«
»Harlan?«
»Ja, er ist der Geschäftsführer im Night Maneuvers.«
Mit anderen Worten, ihr Zuhälter, dachte David. »Die Nachricht von Dr. Kleinman gab als Adresse die der Kneipe an. Dann muss er gewusst haben, was mit Ihnen passiert ist.«
Elizabeth zuckte zusammen. Sie kauerte auf dem Bett und verschränkte die Arme vor dem Bauch. »Hans rief mich an, nachdem man mich gefeuert hatte. Er sagte, er würde wieder hier runterkommen und mir einen Platz in einem Therapieprogramm besorgen.«
Jetzt stellte David sich Dr. Kleinman in der Night Maneuvers Lounge vor, ein weiteres unwahrscheinliches Bild. Er begann sich zu fragen, ob das Striplokal einen Computer im Büro hatte. »Hat Dr. Kleinman Sie dann in dem Lokal besucht? Und ist er möglicherweise dort ins Büro gegangen?«
Sie kniff die Augen fest zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein, Hans ist gar nicht gekommen. Ich war high, als er anrief, deshalb habe ich zu ihm gesagt, er soll sich verpissen. Und das war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben.«
Sie beugte sich nach vorn, bis ihre Stirn nur noch ein paar Zentimeter von der Bettdecke entfernt war. Sie gab keinen Laut von sich, aber sie schluchzte so, dass sie am ganzen Körper zu zittern begann und sich auch die Matratze im gleichen Rhythmus bewegte.
Monique tätschelte ihr wieder den Rücken, aber diesmal ohne Wirkung. Deshalb ging sie hinüber zu Michael, packte ihn sanft am Ellbogen und führte den Teenager zu seiner Mutter ans Bett. Elizabeth umarmte ihn automatisch. Michael hätte wie am Spieß geschrien, wenn irgendjemand anderes das versucht hätte. Allerdings erwiderte er ihre Zuneigung nicht, ja er schaute sie nicht mal an. Während sie die Arme um seine Taille schlang, wandte er sich ein bisschen zur Seite, um weiter Warfighter spielen zu können.
Nach einer Weile löste Elizabeth die Umarmung und hielt ihren Sohn mit gestreckten Armen von sich weg. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, während sie ihn prüfend ansah. »Dass du immer noch das verdammte Kriegsspiel
spielst«, seufzte sie mit Blick auf das Display des Gameboys. »Ich hätte gedacht, dass du es inzwischen leid bist.«
Da Michael natürlich nicht reagierte, wandte Elizabeth sich an David und Monique. »Michael hat mit diesem Spiel angefangen, als ich in Benning arbeitete. Hans hat einen der Computer in meinem Büro so eingerichtet, dass Michael das Spiel dort spielen konnte.« Sie fuhr dem Jungen mit der Hand durch die Haare und zog ihm einen Scheitel auf der linken Seite. »An den Tagen, wenn die Schule für autistische Kinder geschlossen war, hab ich ihn mit zur Arbeit genommen, und dann hat er stundenlang vor
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