Die Wundärztin
sonst wäre das Stück vom Wandbord auf ihren Kopf gefallen. Behende sprang die getigerte Katze herab und verschwand pfeilschnell hinter dem gemauerten Herd.
»Scher dich zum Teufel, du Mistvieh!«, schimpfte Elsbeth und setzte Carlotta ab. Es kostete sie wenig Mühe, die Katze in ihrem Versteck aufzuspüren. Zu oft schon hatte sie das Biest verfolgt. Geschickt packte sie es im Nacken und warf es in den ummauerten Hof. »Geh Mäuse jagen!«, zischte sie wütend und schlurfte in die Küche zurück. »Und nun zu dir.«
Sie bückte sich, nahm Carlotta auf und ging mit ihr nach draußen zum Brunnen. Ohne auf die Proteste des Kindes zu achten, wusch sie es mit eiskaltem Wasser. Vehement wehrte sich die Kleine, schrie und schlug mit aller Kraft um sich. »Gib endlich Ruhe!« Elsbeth verpasste Carlotta eine Maulschelle. Empört erstarrte die Kleine. Es dauerte einige Momente, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie laut losbrüllte.
»Was machst du da?« Schon stand Luise neben ihr und schob sie von dem Kind weg. »Das ist ja nicht mit anzusehen, wie du mit dem armen Würmchen umspringst. Geh lieber putzen, ich wasch die Kleine. Nicht dass du sie vor lauter Groll im Brunnen versenkst.«
Im Grunde ihres Herzens war Elsbeth froh, auf diese Weise Carlotta für eine Weile los zu sein. Rasch lief sie in den Wohnraum, klaubte die verschmierten Geldstücke rund um den Topf auf und stahl sich über die Bodenklappe in der Küche in den Keller hinunter. Dort atmete sie auf. Wenigstens in diesem Teil des Hauses war es ihr gelungen, die gröbsten Spuren von Luises jahrelanger Misswirtschaft zu beseitigen. Unvorstellbar, wie der gelehrte Doktor Mattes, Erics Worten zufolge eine vielgerühmte Kapazität seines Faches, das irgendetwas mit Sternen und dem Himmel zu tun haben sollte, und die bucklige Luise derart hausen konnten! Das kam davon, wenn man seine Nase immerzu tief in Bücher und Zeitungen steckte. Die zwei wussten gar nicht zu schätzen, was es hieß, in Zeiten wie diesen ein festes Dach über dem Kopf und einen gutausgestatteten Hausstand mit all dem Weißzeug, den Bechern und Krügen aus Zinn, dem silbernen Besteck sowie dem Küchengarten im dreiseitig ummauerten Hof sein Eigen nennen zu können.
Entschlossen schüttete Elsbeth die klebrigen Goldstücke in einen Trog mit Seifenlauge und begann, ihren Schatz zu säubern. Später stieg sie mit dem prall gefüllten Geldsäckchen an dem bewährten Versteck unter dem Rock wieder nach oben. Zwar war das Mittagsläuten an den vielen Kirchtürmen ringsum längst verklungen, dennoch kochte weder eine Suppe auf dem Feuer, noch war Luise in der Nähe des Gemüsekorbs zu entdecken. Dafür drang aus der angrenzenden Kammer, in der Elsbeth mit Carlotta untergebracht war, fröhliches Lachen. Die bucklige Grauhaarige und das Mädchen hockten auf dem Boden und spielten mit der Tigerkatze und einem Stofffetzen.
»Zu essen gibt es heute nichts?« Elsbeth warf Luise einen strafenden Blick zu. Als keine der beiden den Kopf hob, stellte sie sich an den Herd und wärmte den Rest des Morgenbreis auf. Ihr Blick hellte sich auf, als sie sich in der Küche umsah. Auch in diesem Teil des Hauses zeigte ihre umtriebige Anwesenheit erste Früchte. Ausgiebig musterte sie die Pfannen und Töpfe, die über dem Rauchfang hingen. Während der letzten Tage hatte sie das Kupfer mit einem Gemisch aus Buttermilch und Salz so lang poliert, bis ihr die Arme schmerzten. Erst als sie ihre vollen Lippen, die hohen Wangenknochen und die sanft geschwungenen Augenbrauen aus sämtlichen Blickwinkeln darin betrachten konnte, hatte sie ihr Werk für beendet erklärt. Anschließend hatte sie die irdenen Gefäße auf dem schmalen Wandbord linker Hand des Herdes in Angriff genommen. Im Tross war sie nie zu solchen Hausarbeiten gekommen, doch die Winterquartiere, während deren sie in Handwerker- oder Kaufmannshaushalten logierte, waren eine gute Schule gewesen. So hatte sie sich an den Ratschlag einer Bierbrauerfrau aus Ingolstadt erinnert und das tönerne Geschirr über Nacht in einem Bottich im Hof gewässert. Am nächsten Morgen spülte sie es ausgiebig mit Essigwasser aus und reihte es der Größe nach wieder auf dem schmalen Regal auf. Mehl, Zucker, Salz und sonstige Vorräte, die sie darin aufbewahren konnte, fanden sich im Haus allerdings kaum mehr. Lediglich im Keller stieß sie noch auf ein halbgefülltes Fass mit saurem Kraut, ein weiteres mit Bohnen sowie eine Truhe mit ein paar Säckchen Getreide aus dem
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