Die Wundärztin
fassten sie den wimmernden Mann an den intakten Gliedmaßen und trugen ihn zum Tisch. Weil es an Ledergurten fehlte, banden sie ihn kurzerhand mit Seilen darauf fest. Behutsam hob Magdalena seinen Kopf an und hieß ihn, kräftig aus dem Branntweinschlauch zu trinken. Dabei strich sie ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn und streichelte ihm beruhigend über die Schläfe. Er zitterte am ganzen Leib. Als berge allein schon das Trinken die Erlösung, verschluckte er sich mehrmals vor Gier am Branntwein. Prustend und spuckend rang er nach Luft. Das strengte ihn so sehr an, dass der Kopf schließlich erschöpft zur Seite sank. Magdalena legte ihm die Zunge gerade und schob ihm ein Stück Leder zwischen die Zähne. Umsichtig prüfte sie die Seile um Fußgelenke, linken Arm und Oberkörper. Dann erst trat sie zum rechten Arm. Rasch fingerte sie den Bernstein unter dem Mieder hervor und küsste ihn. Lautlos sprach sie ein Gebet, während sie den gelben Stein umklammerte. Endlich fühlte sie sich für den Eingriff gewappnet und griff nach der Säge.
Der Mönch hatte nicht übertrieben, als er seine Erfahrung als Gehilfe des Wundchirurgen erwähnt hatte. Ohne dass sie ihn anweisen musste, wusste er stets einen Handgriff früher als nötig, was er zu tun, welche Geräte er ihr zu reichen und wie er den Patienten zu betreuen hatte. Sie konnte sich ganz auf ihre Aufgabe besinnen. Als sie die Säge ansetzte, hielt sie noch einmal inne, atmete einmal tief durch und legte dann los. Sie war erstaunt, wie gut ihr der Eingriff von der Hand ging. In einem Rutsch konnte sie ihr Werk vollbringen. Erschöpft, aber zufrieden beendete sie den letzten Stich an der Naht, mit der sie die Haut über dem frischen Stumpf zusammengezogen hatte. Sorgfältig strich der Mönch den Wundbalsam aus Wachs, Kolophonium und Leinöl darüber, drückte die Kräuterpflaster an und half ihr, den restlichen Arm zu verbinden. Endlich waren sie fertig.
»Er lebt!«, verkündete ihr neuer Gehilfe freudig und tupfte das Gesicht des Patienten. »Sein Atem geht gleichmäßig, das Fieber scheint zu sinken.«
»Das klingt so, als hättest du nicht damit gerechnet.« Matt stand Magdalena neben dem Tisch, den Branntweinschlauch in der Hand und kurz davor, den befreienden Schluck zu trinken. In diesem Moment fiel ihr auf, dass ihre Hände während der anstrengenden Arbeit nicht ein einziges Mal gezittert, sie nicht ein Mal an die betäubende Wirkung des Schnapses gedacht hatte. Es ging also immer noch gut ohne diese gefährliche Hilfe, stellte sie erleichtert fest.
»Ich werde die Nacht bei ihm wachen und dafür sorgen, dass er sie übersteht«, verkündete der Mönch. Nah trat er an sie heran und berührte sie am Arm. Er erklärte nichts weiter, sondern nahm schweigend den Branntweinschlauch aus ihrer Hand. Stattdessen reichte er ihr einen Krug mit Wasser und nickte ihr zu. »Wahrscheinlich muss ich mich einfach nur daran gewöhnen, dass auch Frauen zu solchen Heldentaten fähig sind. Wenn man wie ich jahrelang in einem weltabgewandten Kloster unter Männern lebt, blendet man einen erheblichen Teil des Lebens einfach aus.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. Um nicht darauf eingehen zu müssen, bückte sie sich nach dem abgetrennten Unterarm und betrachtete die Wunde. Wie sie vermutet hatte, steckte ein winziger Splitter im Fleisch. Rupprecht hatte ihn entweder übersehen, oder der Splitter war durch das mehrfache Spreizen der Wunde mit der Schere erst tief hineingeraten. Zu sehr hatte Rupprecht die Entnahme der krummen Bleikugel beansprucht, als dass er darauf geachtet hätte, während des Eingriffs weitere Verunreinigungen zu vermeiden. Hätte sie besser aufgepasst und wäre rechtzeitig eingeschritten, hätte der Mann seinen rechten Arm wahrscheinlich behalten können. Was war er schließlich ohne ihn? Ein nutzloser Krüppel, der unbeholfen wie ein kleines Kind lernen musste, die einfachsten Handgriffe einarmig zu meistern. Verdammter Alkohol! Schon oft hatte sie gesehen, wohin das führte, und trotzdem nicht der Versuchung widerstanden, den eigenen Schmerz darin zu ertränken.
»Mach dir keine Sorgen. Der Mann ist kräftig und wird es schaffen. Dafür verbürge ich mich.« Abermals berührte der dicke Mönch sie, tätschelte ihr nahezu zärtlich den Arm. Ihr Können musste ihn beeindruckt haben.
5
Der Tag war weit fortgeschritten. Die langen Schatten des Dachfirsts der Kirche überdeckten fast die gesamte Breitseite des rechteckigen Klostergebäudes. Gänge und
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