Die Wundärztin
ätzte ihr in der Nase.
4
Das Aufstöhnen des Kroaten auf dem Strohsack vorne links schreckte Magdalena auf. Gewiss tat sie besser daran, den Branntweinschlauch rasch wieder abzusetzen. Von den ständigen Grübeleien sollte sie ebenfalls lassen. Es lenkte sie zu sehr von ihren Pflichten ab. Durch Unachtsamkeit riskierte sie am Ende ein weiteres Leben und verstrickte sich noch tiefer ins Unglück. Sie biss sich auf die Lippen, versuchte die Hände ruhig zu halten und den sehnlichen Wunsch nach Vergessen im Alkoholrausch zu unterdrücken. Stattdessen gönnte sie dem unruhig gewordenen Patienten auf dem Strohsack einen Schluck Schnaps. Dankbar trank er ihn, während sie ihm die Verbände wechselte.
Als sie das Leinen von seinem rechten Arm abwickelte, schlug ihr ein furchtbarer Gestank entgegen. Die Haut hatte sich dunkel verfärbt, die Wunde fraß sich nahezu über den gesamten Unterarm. Nun war es doch zum gefürchteten Wundbrand gekommen. »Der Arm muss ab!«, hörte sie eine leise Männerstimme hinter sich. Als sie sich umdrehte, erkannte sie den Mann. Bei ihren Streifzügen durch die verwinkelten Klostergemäuer hatte er sich als ehemaliger Hüter der Apotheke vorgestellt. »Nein!«, schrie unterdessen der Kroate und fuhr jäh von seinem Lager hoch. Die Finger seiner gesunden linken Hand krallte er in ihre Schulter. Wild rüttelte er an ihr, riss sie an den roten Haaren. Sein Gesicht glühte. Wie hatte sie das übersehen können? Die braunen Augen glänzten, sein Hemd klebte schweißnass am Leib. War sie schon nach drei Schluck aus dem verdammten Schlauch so berauscht, dass sie das Offensichtliche so leichtfertig übersehen hatte? Oder hatte ihr Kummer sie blind für das Elend anderer gemacht?
»Ruhig Blut!« Vorsichtig löste sie seine Finger aus ihrem Haar und half ihm, sich flach auf dem Strohsack auszustrecken. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Rupprecht zu suchen kostete zu viel Zeit. Außerdem war es nicht der erste Arm, den sie abnehmen würde. Einen kräftigen Beistand brauchte sie allerdings, damit der Patient festgehalten wurde. Alles andere würde sie allein bewältigen. »Kannst du helfen?«, wandte sie sich an den Mönch. Der Mann, der kaum größer war als sie, dafür aber mindestens zweimal so viel Leibesfülle mit sich schleppte, nickte, dass die Speckfalten an Wangen und Kinn wackelten. Seine wässrigen Augen fielen in dem teigigen Gesicht kaum auf, zeigten allerdings erstaunlichen Tatendrang. Kurz musterte sie seine klobigen Hände. Die verfärbten Fingerkuppen und die schwarzen Ränder entlang der Nägel verrieten Feldarbeit. Offensichtlich konnte er also auch kräftig zupacken.
»Oft habe ich dem Wundchirurgen beigestanden, wenn er hier im Spital seinem Handwerk nachgegangen ist. Doch verzeih mir die Frage: Willst du nicht lieber erst den tüchtigen Feldscher rufen, damit wir nicht noch weitere kostbare Zeit verlieren? Wie es scheint, muss dem Mann rasch geholfen werden.«
Schon krempelte er sich die Ärmel des knappen Bauernkittels auf, der augenscheinlich von jemand anderem stammte. Er schnürte ihn so eng ein, dass jedes Luftholen das Reißen der Nähte riskierte. Flink begann er, den Holztisch vorzubereiten, indem er ihn gründlich abwischte und mit frischem Stroh polsterte. Anschließend streute er Sägemehl auf die Holzdielen, das das Blut aufsaugen sollte.
»Ich werde den Eingriff selbst vornehmen«, erklärte Magdalena knapp und suchte aus der Truhe, in der sie die Instrumente verwahrte, das nötige Besteck zusammen. »Schür das Feuer im Kamin, damit ich die Werkzeuge vorglühen kann.«
»So viel Zeit, den Feldscher zu rufen, sollten wir uns schon noch lassen«, widersprach der Mönch und beugte sich ebenfalls über die Truhe. Wenn er das Haupt senkte, zeichnete sich auf seinem halbkahlen Schädel noch immer die Tonsur ab.
»Keine Sorge. Die eigentliche Wundärztin bin ich.«
»Aber …«
»Nichts aber. Die letzten Tage ging es mir nicht gut. Nur deshalb musste ich meinem Gehilfen das meiste überlassen, was leider nicht immer eine glückliche Lösung war.« Fast hätte sie hinzugefügt, dass der verpfuschte Arm, den sie abnehmen mussten, das Resultat von Rupprechts Unvermögen war. Andererseits trug sie die Schuld daran, nicht einsatzbereit gewesen zu sein. Nur deswegen hatte sie Rupprecht das Operieren allein überlassen müssen. Hätte sie besser aufgepasst und sich vor allem nicht vor Kummer betrunken, wäre es nicht so weit gekommen.
Mit vereinten Kräften
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