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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zeichnete sich das Insekt in dem honiggelben Stein ab. Die zartgliedrigen Beine und der Kopf gewannen an Kontur. Im Schein der Lampe schimmerte der Bernstein golden. Erleichtert wollte sie danach greifen, da wurde er jäh weggerissen.
    »Wie kommst du daran?«
    Die aufgebrachte Stimme, die jedes Wort so hart ausspie, als ekele sie sich davor, schnitt einem Messer gleich in ihren Schädel. Dennoch erkannte sie sofort, um wen es sich handelte. Zur Bekräftigung seines Unmuts knallte der schwedische Hauptmann die Stiefel an den Hacken zusammen. Sie spürte einen Schmerz oberhalb der rechten Schläfe, presste die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen. Der honiggelbe Stein tanzte vor ihrem Gesicht und schien sie zu verhöhnen.
    »So kommst du mir nicht davon!«
    Er verpasste ihr eine kräftige Maulschelle. Von dem Schwung flog ihr Kopf zur Seite. Sie biss sich auf die Lippen, bis sie den metallischen Geschmack des Blutes schmeckte.
    »Lasst sie! So wird sie Euch nichts sagen.« Der Helfer in ihrem Rücken sprang auf und packte den Schweden am Handgelenk. Erst jetzt sah sie, dass es sich um den feisten, kleinen Ambrosius handelte. Unerschrocken blickte er zu dem Hauptmann auf. Der Schwede blickte verwirrt auf den Mönch, dann stieß er ihn brüsk weg. Ambrosius taumelte, stolperte über die eigenen Füße und schlug hin. Ungerührt wandte sich der Hauptmann wieder Magdalena zu. »Sag endlich, wo du den Bernstein gestohlen hast!«
    Die Sinne beisammenzuhalten kostete sie viel Kraft. Wie gern hätte sie sich erneut in das erlösende Dunkel geflüchtet. Damit aber würde sie den Hauptmann nur noch mehr verärgern. Also setzte sie zu reden an, brachte jedoch nur ein heiseres Krächzen heraus. Es ist gleich, tröstete sie sich, die Wahrheit würde er ohnehin nicht glauben. Es spielte keine Rolle mehr, was sie sagte. Das Urteil stand fest. Sie musste dem drohenden Ende mit Fassung entgegensehen, auch wenn sie innerlich vor Angst verging bei der Vorstellung, dass der Feuertod auf sie wartete. Sobald es aufhörte zu regnen, würde man auf dem Platz vor dem Kloster den Scheiterhaufen aufschichten. Nur zu gern wollten die Soldaten sie als Hexe brennen sehen.
    »An einen solchen Schatz kommt man nicht einfach so!« Zornig riss der Hauptmann sie am Arm. Im kargen Schein der Fackeln traten seine Gesichtszüge scharf hervor. Er beugte sich über sie, bis sie seinen raschen Atem im Gesicht spürte. Sie wandte sich ab. Er packte ihr Kinn, presste die Haut mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen und zog sie zurück. Sie wollte aufschreien vor Schmerz, brachte aber nur ein nahezu tonloses Schnauben zustande.
    »Rede endlich!«, zischte er.
    Tränen standen ihr in den Augen. Mühsam schüttelte sie den Kopf, bis er begriff und sie losließ. Sie rieb sich das schmerzende Kinn. »Ich habe ihn nicht gestohlen«, stammelte sie. Nach einer abermaligen Pause und mehrfachem Räuspern erklärte sie laut: »Er gehört mir. Das war ein Geschenk.«
    »Lüg mich nicht an! Wer sollte dir so etwas Wertvolles schenken? Oder bist du schon wieder besoffen? Wie das? Im Verlies gab es keinen Branntwein. Es sei denn – ah, du alte Hexe!« Abermals wollte er auf sie einschlagen, doch Ambrosius war schneller. Erstaunlich flink sprang er auf und warf sich mutig dazwischen, bekam dieses Mal sogar den Arm zu fassen, noch bevor der Hauptmann zuschlagen konnte.
    »Hört ihr doch erst einmal zu. Wenn Ihr das nicht wollt, könnt Ihr es gleich lassen, sie zu befragen.«
    Ambrosius’ Mut schien den Offizier zu beeindrucken. Auffordernd nickte er Magdalena zu.
    Erst zögernd, dann flüssiger begann sie zu reden: »Der Stein ist mein Talisman. Er beschützt mich und spendet mir Kraft. Seit ich ein kleines Mädchen bin, trage ich ihn bei mir. Bitte gebt ihn mir zurück. Er bedeutet mir sehr viel.«
    »Wie käme ich dazu?« Aufreizend ließ der großgewachsene Schwede die Schnur mit dem Bernstein vor ihrem Gesicht kreisen. Er beobachtete sie, wie sie zunächst auf den Stein, auf ihn und dann wieder auf den Stein schielte. Schließlich schnappte er ihn mit der zweiten Hand, um ihn in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen. Die Hand ließ er am Hosenbund liegen, als fürchtete er, der Stein wäre dort immer noch nicht vor ihr sicher.
    Sie holte tief Luft und verharrte einen Moment, bevor sie langsam aussprach, was sie seit langem nicht mehr zu denken gewagt hatte: »Er wurde mir von jemandem geschenkt, der mir einmal sehr wichtig war.«
    »Wer sollte das

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