Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
waren. Trotz allem bleibt mein sonniges Gemüt – manchmal sorgenvoll verhangen, manchmal strahlend hell – mein unerschütterlicher Fixpunkt in einer sich stetig wandelnden Welt. Mum meinte mal, auf meinen Optimismus sei immer Verlass, und das beruhige sie sehr. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich das sogar von James ein paarmal zu hören bekommen, und das will etwas heißen, kreisen die Gedanken meines Bruders doch fast ausschließlich um ihn selbst. Stets an allem und in jedem das Gute zu sehen und nie die Hoffnung zu verlieren, war also ganz offensichtlich schon immer meine Stärke gewesen – und oft auch meine letzte Rettung.
»Wer reich an Hoffnung ist, ist reicher als jeder Millionär«, sagte Mr Kowalski gern. »Man kann jeden Tag etwas
von seiner Hoffnung abgeben, und doch wird sie nie weniger. Und du, Rosie, hast einen riesigen Batzen Hoffnung auf deinem Konto. Nutze sie und gib den Leuten davon, die keine haben.«
Mr Kowalski machte keine leeren Worte. Er lebte, was er predigte, und bei einem Mann, der so viel Armut, Vorurteile und Not erlebt hatte, war das keine Selbstverständlichkeit. Er wisse, dass Gott – »mein himmlischer Papa« – ihm immer helfen werde. Dabei war Mr Kowalski keineswegs religiös. Zumindest nicht so, wie man es bei Menschen seiner Generation erwarten würde. Sein Glaube bestimmte, was und wer er war. Mr Kowalski lebte seine Überzeugungen.
»Weißt du, Rosie, Papa ist der einzige Freund, der mich nie verurteilt, mich nie im Stich gelassen oder verraten hat. Er liebt mich, Punkt. Ganz gleich, was ich mache, welche Fehler ich begehe – er liebt mich trotzdem. Mehr Reichtum brauche ich nicht, ukochana , und ganz umsonst ist er noch dazu. Und das jeden Tag.«
Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass das Leben ruhiger, friedlicher war – auch schöner und irgendwie strahlender – , wenn Mr Kowalski da war. Kurz bevor er nach Polen zurückkehrte, gab er mir eine kleine handbemalte Glastafel mit der Aufschrift: »Mit Gott ist nichts unmöglich«. Er habe sie geschenkt bekommen, als er selbst noch sehr jung gewesen sei, meinte er, und sie habe ihn immer daran erinnert, dass er nicht allein sei.
»Nimm sie, Rosie«, hatte er gesagt. »Soll sie auch dich daran erinnern, dass Papa immer ein Auge auf dich hat.«
Heute hängt sie hinter dem Ladentisch, und wann immer ich sie anschaue, kommt ein bisschen der Ruhe und des Friedens über mich, die Mr Kowalski mir immer gab.
Als ich am Montag die Schnittblumeneimer mit prächtigen
fliederfarbenen Hortensien und duftenden Freesien auffüllte, fiel mein Blick mal wieder auf die kleine Glastafel. Im Gegensatz zu letztem Samstag herrschte heute himmlische Ruhe im Laden. Allerdings war es auch noch früh, gerade mal neun Uhr. Ich lächelte wehmütig, als ich an Mr Kowalski dachte. Noch immer kann ich kaum glauben, dass er nicht mehr da ist – und auch nie mehr da sein wird. Noch immer rechne ich damit, dass er anruft oder sein gutmütiges Gesicht an der Ladentür auftaucht. Ohne ihn scheint die Welt so viel leerer zu sein.
Ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich die silberne Limousine gar nicht vorfahren sah. Erst als die Ladentür so heftig aufgerissen wurde, dass das kleine Glöckchen vor Schreck fast für immer verstummt wäre, bemerkte ich den hochgewachsenen, tief gebräunten und in Versace gekleideten Mann, der raschen Schrittes hereingeeilt kam. Zwei nervös wirkende Assistenten huschten hinter ihm her, auch sie makellos gekleidet, Notizbücher gezückt und ganz auf jede Regung des großen Meisters fixiert. Seine raumgreifende Präsenz schien den ganzen Laden einzunehmen und jedermanns ungeteilte Aufmerksamkeit zu fordern.
»Rosie Duncan.« Was wohl als Frage gemeint war, klang eher wie ein Ausdruck purer Verachtung.
»Mr Devereau. Willkommen bei Kowalski’s. Was führt Sie zu uns?«, erwiderte ich ruhig, doch mein Herz raste. Übers Wochenende hatte ich jeden Gedanken daran verdrängt, dass Kowalski’s praktisch über Nacht sein Auftragsbuch geplündert hatte.
»Den Smalltalk können Sie sich sparen«, schnauzte Philippe mich an. »Sie wissen ganz genau, weshalb ich hier bin.«
»Um unsere Arbeit zu bewundern?«, schlug Ed vor, der plötzlich aus der Werkstatt gekommen war und sich schützend neben mich stellte.
Philippe bedachte ihn mit finsterem Blick. »Machen Sie sich nicht über mich lustig, Mr Steinmann. Ich wüsste nur ganz gern, was zum Teufel ihr …«, er suchte händeringend nach Worten, »…
Weitere Kostenlose Bücher