Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
über meine Vergangenheit zu reden … Es käme mir wie eine Niederlage vor. Über den Kummer und den Schmerz zu reden, die ich so lange verborgen gehalten hatte, hieße auch, das alles noch
einmal zu durchleben, alles wieder an mich heranzulassen – ihn an mich heranzulassen. Vor sechseinhalb Jahren hatte ich mir geschworen, dass ich mich nie wieder so fühlen wollte. Dass niemand das wert wäre. Und irgendwie hatte es ja auch funktioniert. Ich hatte ein neues Leben begonnen und sogar geglaubt, glücklich zu sein. Mir war es gelungen, das Gefühl der Einsamkeit zu verdrängen, das einen von Zeit zu Zeit beschleicht, wenn man nach einem langen Tag nach Hause kommt und außer einem selbst niemand da ist. Ja, natürlich war ich einsam, aber ich fühlte mich wohl so. Ich fühlte mich sicher, weil ich alles unter Kontrolle hatte. Alles unter Kontrolle zu haben ist zugegebenermaßen ein recht dürftiger Ersatz für wahres Glück, aber ich hatte es mir damit sehr komfortabel eingerichtet und kam bestens zurecht.
Jetzt jedoch hatte ich die Kontrolle verloren, und Abgründe taten sich auf.
Celia empfing mich schon vor dem Verlagsgebäude an der 8th Avenue und beförderte mich zügig durch die gläserne Lobby. Kaum im Fahrstuhl, griff sie nach meiner Hand.
»Okay, meine Süße, ich warne dich lieber schon mal vor: Nate ist oben in meinem Büro.«
Ehrlich gesagt überraschte mich das nicht. Dennoch sah ich mich auf einmal mit meinen schlimmsten Ängsten konfrontiert, sprang mit einem Satz aus dem Fahrstuhl und eilte durch die Lobby dem Ausgang entgegen. Celia sprintete hinter mir her, packte mich bei den Schultern und verstellte mir den Weg. Derart in die Ecke getrieben, suchte ich verzweifelt nach Ausflüchten.
»Celia, lass mich gehen! Du verstehst das nicht. Ich will nach Hause … Mir geht es nicht gut!« Alles vergebens.
»Nein, Rosie, ich lasse dich jetzt nicht gehen. Du kannst nicht immer weglaufen. Diesmal nicht.«
Ich wurde wütend. »Ich kann verdammt nochmal machen, was ich will! Lass mich durch.«
Meine Stimme hallte von den Wänden wider, und einige Passanten drehten sich verwundert nach mir um. Celia hingegen sprach ruhig und geduldig, klang in ihrem Entschluss jedoch unerbittlich. » Nein , Rosie.«
Etwas in ihrem Ton ließ meine Wut jäh verrauchen, und ich musste gegen meine aufsteigenden Tränen ankämpfen. »Warum?«
Celia ließ mich los und schaute mich an. Auch sie hatte Tränen in den Augen. »Warum? Weil du es verdienst zu leben , Rosie, und dich nicht länger von … von dieser Sache fertigmachen lassen darfst. Weil du gute Freunde hast wie Ed und Nate, die wissen sollten, was du durchgemacht hast, denn erst dann werden sie auch wirklich zu schätzen wissen, wie stark und erfolgreich du tatsächlich bist. Schau mich nicht so an. Ich weiß schließlich, was du durchgemacht hast. Aber während andere sich davon hätten unterkriegen lassen, hast du dich aufgerappelt und es trotzdem geschafft. Okay, du bist jahrelang davor weggelaufen, und nur du weißt, wie schlimm es wirklich war – aber, meine Gute, du bist stärker, als du glaubst! Und du weißt, dass es jetzt an der Zeit ist: Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu sagen, die Vergangenheit hinter dir zu lassen – David hinter dir zu lassen – und dir zu beweisen, dass du als strahlende Siegerin aus allem hervorgehen wirst. Du schaffst das. Und im Grunde deines Herzens weißt du, dass ich Recht habe.«
Da hatte sie Recht. Ich wusste es. Obwohl alles in mir das genaue Gegenteil wollte – es wäre so verlockend, wieder wegzulaufen! –, wusste ich, dass es an der Zeit war, mich meiner größten Angst zu stellen. Wie Mr Kowalski gesagt hatte: Nun war es an der Zeit, mich »von meiner Falle zu befreien«. Aber ich fühlte mich so elend und schwach …
»Ohne deine Hilfe schaffe ich das nicht, Celia.«
»Ich bin für dich da, Honey. Solange du mich brauchst.«
Und damit hakte ich mich bei Celia unter, holte einmal tief Luft und machte mich auf den Weg. Die Türen des Fahrstuhls schlossen sich hinter uns, und meine Reise begann.
Wie bereits erwähnt, hatte ich gleich nach dem Studium eine Stelle bei einer Werbeagentur in London bekommen. QJ Johnson Associates war eine noch vergleichsweise junge, aber schon sehr erfolgreiche Agentur. Von der Leidenschaft und kreativen Energie eines jungen, ehrgeizigen Teams getragen, entwickelte sie sich schnell von ihren kleinen bescheidenen Anfängen zu einem Spieler der kreativen Oberliga. Dort zu
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