Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
gingen, stürmte David plötzlich die Stufen der Pagode hinauf und machte mir lauthals einen Antrag.
»Wenn ich einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte, meine Damen, meine Herren, liebe Kinder und … ähm … Hunde .«
Passanten blieben stehen und starrten entgeistert auf den verrückten Amerikaner, der wild gestikulierend auf der Treppe der Pagode stand.
»Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen. Die junge Dame, die Sie hier vor sich sehen, ist das wunderbarste, anbetungswürdigste, umwerfend schönste Geschöpf auf Erden – und ich möchte Sie alle wissen lassen, dass ich nicht einen Tag meines Lebens mehr aufwachen will, ohne sie an meiner Seite zu haben. Und deshalb …«, er legte eine spannungsgeladene
Pause ein, sprang die Stufen hinab und fiel vor mir auf die Knie, »… und deshalb frage ich sie … frage ich dich , Rosie, ob du meine Frau werden willst.«
Die sichtlich amüsierten Zuschauer brachen in spontanen Applaus aus, doch David war noch nicht fertig. Fragend schaute er zu mir auf. »Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt, Rosie. Heirate mich.«
Der Applaus verstummte, und unser Publikum hielt gebannt den Atem an.
»Ja, natürlich heirate ich dich!«, rief ich, und Tränen stiegen mir in die Augen, als um uns herum erneut begeisterter Applaus aufbrandete. David hob mich auf seine Arme und stieß einen lauten Freudenschrei aus.
»Ich werde dich zur glücklichsten Frau der Welt machen, Rosie – versprochen!«
Als der Fahrstuhl zwei Stockwerke später schon wieder hielt, reichte Celia mir ein Taschentuch. Das Pärchen stieg aus, und ich bekam langsam so richtig Panik.
»Ich will nach Hause, Celia. Ich schaffe das nicht! «, beharrte ich, während mein Magen sich vor Angst zusammenkrampfte.
»Ich kann mir nur schwer vorstellen, was du gerade durchmachst, Rosie, aber eines weiß ich ganz gewiss: Dein Leben befindet sich jetzt – in diesem Augenblick – an einem Wendepunkt. Entweder du beißt dich da heute durch, oder du wirst dich für den Rest deines Lebens verstecken. Es ist ganz allein deine Entscheidung.«
Für mich klang das nicht so, als bliebe mir eine große Wahl.
Aus den Tiefen meines Bewusstseins meldete sich Mr Kowalskis Stimme: »Die Erfahrung hat mich gelehrt, Rosie, dass es Augenblicke im Leben gibt, in denen man in die
Fußstapfen des Schicksals tritt. Es sind seltene Momente, die einem vielleicht nur zwei- oder dreimal im Leben widerfahren, und die man deshalb umso mehr schätzen sollte. Sie sind unglaublich wertvoll, ukochana . Meistens sind sie auch schmerzlich. Sehr schmerzlich. Aber der Schmerz ist notwendig, um dich zu dem aufblühen zu lassen, wozu Papa dich ausersehen hat. Du kannst diese Augenblicke nicht vorausahnen, sie kommen völlig unerwartet. Aber eines Tages wirst auch du die Spur des Schicksals erkennen – und der Weg, für den du dich dann entscheidest, wird eine Entscheidung für oder gegen das Leben sein. Wenn es so weit ist, Rosie, entscheide dich dafür zu leben . Entscheide dich für den Weg, auf dem Papa dich wachsen und zu dem Kunstwerk werden lässt, das er in dir angelegt hat.«
Es sah also so aus, als wäre meine Entscheidung längst gefallen.
Mum weinte, als ich ihr sagte, dass ich nach Boston gehen würde. Aber sie merkte, dass an meinem Entschluss nicht zu rütteln war, und gab mir ihren Segen. Während ich mein Leben in London abschloss, meine Wohnung verkaufte und mich von allem trennte, was nicht unbedingt mit mir in die Staaten umsiedeln musste, war David bereits nach Boston zurückgeflogen. Einen Monat später hatte ich alles verkauft, verpackt und war startklar. Am Terminal 4 von Heathrow Airport verabschiedete ich mich von Mum und James und ging an Bord der Maschine, die mich binnen weniger Stunden in mein neues Leben tragen würde. Ich sah England unter mir entschwinden und flog meinem Schicksal entgegen.
Boston war eine Offenbarung. Alles war neu für mich und unglaublich aufregend. Ich genoss es, in die amerikanische Kultur einzutauchen, Englisch mit neuen und fremden
Akzenten zu hören und eine Lebensart kennenzulernen, die zugleich schnelllebiger, aber auch entspannter war, als ich es gewohnt war. In Boston frischte ich die Freundschaft mit meinem ehemaligen Studienkollegen Ben auf. Er hatte jetzt eine Stelle in Harvard und war von seinem neuen Leben total begeistert. Ich fand, dass er amerikanischer geworden war als die Amerikaner – er sprach mit tadellosem Bostoner Akzent und war ein glühender
Weitere Kostenlose Bücher