Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
auf sie herab, und Faye fühlte sich, als sei sie wirklich seine kleine Schwester. »Du weißt, was du jetzt brauchst.« Er grinste breit und wartete ihr Nicken ab. »Du weißt es wirklich, nicht wahr?«
»Ja.« Sie ahnte, was jetzt kam.
»Sag es mir, Schwester.«
Sie musste schmunzeln. »Billie Holiday.«
T. C. klatschte in die Hände. »Genau. Songs for Distingué Lovers. Verve Master Edition. 1957. Danach geht es dir besser. Versprich mir einfach, dir heute Abend die gute alte Billie reinzuziehen.«
»Versprochen.« Eigentlich mochte sie Billie Holiday nicht besonders, die Platte besaß sie aber, denn wenn man Musik machte, Musik, der man in den kleinen Clubs drüben in Williamsburg lauschte, dann gehörte sie einfach zum Repertoire dazu, da war nichts zu machen.
»Siehst du«, sagte T. C., »und schon kannst du wieder lachen.«
Es funktionierte tatsächlich. »Du bist so was von Blaxploitation«, sagte sie ihm.
»Worauf du einen lassen kannst«, antwortete er breit grinsend und nicht ohne ein »Schwester« hinzuzufügen.
Einer der beiden Kunden hatte sich entschieden und trat zögerlich vor. Er hielt Fran ç oiz Breut in der Hand, La chirurgie des sentiments .
T. C. intonierte mit bemüht französischem Akzent, der sich bestenfalls kanadisch anhörte: »Ah, La Breut .«
Faye wusste genau, was er dachte. Der Kunde immerhin schien glücklich mit seiner Wahl zu sein.
»Ich muss los«, sagte Faye zum Abschied.
T. C. zwinkerte ihr zu, drehte sich um und ging zur Kasse. Das Telefon klingelte. Faye verließ das LL und trat hinaus in den anbrechenden Abend, der zu kühl war, um noch nach Sommer zu schmecken.
Auf dem Weg zurück hörte sie »Goodbye« von The Postmarks, auf dem gelben Walkman, wieder und wieder. Sie schickte eine SMS an Dana: Wir müssen reden. Dringend! Dann wartete sie. Und lauschte den Postmarks. Sie spürte ihren Atem, der sich im Gehen dem Takt des Liedes anzugleichen schien, fast schlurfend, wie ein leises Saxofon, das schüchtern mit einem sehr unauffällig im Schatten wartenden Schlagzeug liebäugelt. An diesem Abend war alles irgendwie anders. Der Herbst war nicht länger eine unbeschwerte Melodie, nein, er war nicht länger »September on my tongue«. Der Herbst, den Faye fühlte, war ein »Brooklyn Waltz«, so kühl, windig und schattig, dass er nach Abschied klang.
Faye hatte es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie würde dort ohnehin nur grübeln und im weinseligen Nichtstun versinken. Nein, sie ließ sich Zeit, folgte dem Muster der Steine auf dem Gehweg, wich den anderen Passanten aus und dachte, irgendwie sei der Herbst ein wenig wie Sterben.
»Dummes Zeug«, sagte sie laut. »Manchmal«, hatte ihr Vater ihr immer gesagt, »hilft es einem schon, wenn man die Dinge laut ausspricht.«
Eine Frau mit einem Gesicht, das sie sich offenbar in Jahren voller Rücksichtslosigkeit redlich verdient hatte, sah sie von oben bis unten abfällig an, als sie an ihr vorbeischritt. Faye schätzte, dass der Schal der Frau fast so teuer war wie alles, was sie selbst am Leibe trug, zusammen, und fragte sich, warum jemand wie sie sich hier im Viertel herumtrieb, dieser Gegend, die sich außer Ruinen, Nostalgie und Ruhe kaum etwas gönnte.
Faye zuckte die Achseln. »Dummes Zeug«, sagte sie noch einmal.
Sie blieb stehen und sah der Frau hinterher. Hoch erhobenen Hauptes schritt diese den Gehweg entlang; sie wusste, dass sie teuer aussah, und sie wusste, dass ihr die Männer auf den Hintern starrten, einen Hintern, der seine Form dem täglichen Besuch im Fitnessstudio verdankte, aber trotzdem nicht attraktiv wirkte.
Faye ging weiter. Menschen waren schon seltsam. Sie taten oft so unsinnige Dinge.
An einer Ampel blieb sie stehen und betrachtete den Straßenverkehr. Unnötig zu erwähnen, dass sie instinktiv nach Motorrollern Ausschau hielt. Langsam entwickelte sich das zu einer neuen Marotte.
Ihr uraltes Handy klingelte.
»Dana!« Sie spürte, wie ihr einige der ganz besonders schweren Steine vom Herzen fielen.
»Du hast es wirklich geschafft«, hörte sie die Stimme, durchzogen von leisem statischem Rauschen, sagen. »Du hast also wieder eines dieser unlösbaren, heiklen, die ganze weite Faye-Archer-Welt verändernden Probleme. Eins, das so gewaltig ist, dass ich dir dabei helfen muss, es zu lösen.«
Erfasst! »Können wir uns treffen?«
»Schwierig. Einer unserer Kunden macht Schwierigkeiten. Lange Geschichte, vermutlich interessiert sie dich nicht. Tut mir leid. Ich weiß, dass sich
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