Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
größten Teil des Rests der Nacht gelaufen.
Jetzt war es Morgen, fast schon zehn. Sonntag. Draußen, vor den Fenstern, hatten sich die Wolken vom Himmel über der Stadt verzogen. Wie passend. Faye fühlte sich genau so. Wie der Himmel ohne Wolken. »Cloudless Skies« klang nach einem neuen Song. Ja, »Cloudless Skies in the Morning of our Life«, etwas in der Art. Sie musste natürlich nirgendwohin. Dennoch beugte sie sich ein zweites Mal zu Aaron, um ihm ins Ohr zu flüstern: »Ich muss los!«
Es sah ganz danach aus, als würde dieser Sonntag ein schöner Herbsttag werden. Das Licht, das durch die Oberlichter in das Studio fiel, war warm und golden wie der Herbst in dem Lied von Neil Young. Aber irgendwie passte das Lied nicht in diese Studiowohnung; nichts hier war so staubig und so herrlich unvollkommen wie die Lieder von Neil Young. Alles in der Wohnung war da, wo es hingehörte. Jedes Ding hatte seinen Platz. Feng-Shui? Keine Ahnung! Modern Art Design? Wohl schon eher! An den wenigen Wänden hingen große Bilder von Künstlern, die Audrey Frank Anastasi, Douglas Newton und Mary de Vincentis hießen, dazu Fotografien von Tom Bovo, eine Zeichnung von Cathrin Karnoff – die Namen standen auf Messingschildern, die unter den Bildern und Fotos an die Wände geschraubt waren. Die Möbel waren sehr Bauhaus.
Aber das war alles unwichtig. Faye lächelte selig und schmiegte sich an den warmen Körper neben ihr.
»Jetzt«, flüsterte sie.
Sie schlüpfte aus dem Bett, sammelte die überall auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke ein – das Einzige in der Studiowohnung, was definitiv ohne Ordnung und System herumlag – und trippelte mit ihnen hinüber ins Bad, das nur ein einziger großer Raum neben dem Schlafzimmer war, ohne Tür, lediglich durch eine Stufe von Letzterem getrennt. Sie zog sich schnell an, schminkte sich notdürftig, betrachtete ihr Spiegelbild, dachte: Faye Archer, du machst Sachen!, und kehrte schließlich zu dem riesigen Bett zurück.
Aaron rührte sich nicht.
Sie lächelte und küsste ihn auf die Schulter.
Wie auf Katzenpfoten schlich sie nach draußen.
Endlich!
Vor dem Haus atmete sie erst einmal durch. Die Luft war noch kühl von der Nacht. Ein leichter Wind wehte Abfälle durch die Straßen. Menschen waren kaum zu sehen, ein typischer Sonntagmorgen. Die Straßen waren noch leer, und die Häuser schienen ins Sonnenlicht zu blinzeln.
Faye ging gedankenverloren und verschlafen zur nächsten Bushaltestelle und dachte, mit einem Lächeln auf den Lippen, an Aaron. Sie fühlte sich noch furchtbar müde, denn so richtig geschlafen hatte ja keiner von ihnen beiden. Nach dem Sex hatten sie geredet. Faye mehr als Aaron. Total aufgedreht war sie gewesen. Wie »Miss Coffee«, sozusagen. Also hatte sie erzählt. Das meiste davon aber nur belangloses Zeug. Dies und das aus ihrem Leben. Gedanken, wirr wie alles, was den Kopf zwischen Wachen und Schlafen verlässt. Worte, die zwei fast noch einander fremde Leben miteinander verbinden, anhand derer man sich kennenlernt. Langsam und richtig nach der wilden, spontanen Intimität der Körper. So viel und doch so wenig. Jedenfalls genug, um Aaron vom Schlafen abzuhalten, was vermutlich der Grund dafür war, dass er nichts von ihrem Aufbruch mitbekommen hatte.
Aaron, der in den Pausen, die Faye ihm gelassen hatte, auch dies und das berichten konnte, hatte am Samstagabend vor seinem überraschenden Besuch in der Factory eine Ausstellung eröffnet: Smoking Landscapes of the Wilderness , mit Fotos von jemandem namens Sugar Ray.
»Er lebt in einem Wohnmobil voller Graffiti«, hatte Aaron ihr den Künstler Sugar Ray erklärt. »Er fährt überall in der Stadt herum, lebt auf Parkplätzen und arbeitet dort.« Bevorzugt besprühte er die Fassaden alter Fabrikgebäude und leer stehender Häuser.
»Klingt abgefahren«, hatte Faye erwidert.
»Die Stadt ist für ihn eine Wildnis, und wir sind die Eingeborenen.« Aaron küsste sie auf die Stirn. »Das ist gelebte, lebendige Kunst. Die fotografiert er.« Es hörte sich so an, als wäre es nicht möglich, Sugar Ray und seine Kunst nicht zu kennen. »Du kennst ihn bestimmt.« Faye nickte, hatte in Wirklichkeit aber noch nie von ihm gehört, da war sie sich sicher. Aber vielleicht hatte sie ja schon einige seiner Graffiti in der Stadt gesehen.
»Und woher wusstest du, dass ich in der Factory bin?«
»Google«, sagte er nur.
Logisch!
Sie lächelte versonnen. »Du hast mich gegoogelt?«
Er küsste sie noch einmal.
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