Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
packten, sodass es im Frachtraum des Flugzeugs transportiert werden konnte, was Kalle und Lauri nicht akzeptierten. Vielmehr erklärten sie, dass sie von der göttlichen Unterstützung des Kastens abhängig seien, dass sie beide unter schwerer Flugangst litten und dass nur die Gebetsmühle ihnen gegen diese neurotische Störung helfen könne. Kalle schaltete das Gerät auch sofort ein, das mit hörbarer Stimme seine religiöse Botschaft zu verkünden begann, und zwar mit so nachdrücklicher Betonung, dass die Beamten erschraken und Kalle erlaubten, die Mühle mit ins Handgepäck zu nehmen. Allerdings untersagten sie ihm, das Gerät während des Fluges einzuschalten.
Es handelte sich um eine Maschine der indischen Fluggesellschaft, die beiden Freunde konnten diesmal also keine Gratistickets der Air France verwenden. Die französische Fluggesellschaft hatte jedoch mit der indischen einen Partnervertrag, und so bekamen sie die Tickets zum halben Preis. Den Rückflug buchten sie noch nicht, dazu wäre später Gelegenheit, meinten sie, wenn sie nur erst ihre Bahnfahrt nach Lhasa hinter sich hätten.
Der Flug begann angenehm. Es war ein schöner Sommermorgen. Die Stewardessen und Stewards servierten Tee und einen warmen Imbiss, die Passagiere fühlten sich, als wären sie auf einer gemütlichen Touristenreise in ein fremdes Riesenreich. Der ruhige, gleichmäßige Flug änderte sich jedoch, als sie das östliche Gebirge Tibets erreichten. Jetzt sahen sie unter sich Reihen schneebedeckter, gewaltig hoch aufragender Felsen, und die Maschine begann heftig zu wackeln. Die Stewardessen räumten die noch nicht geleerten Teetassen ab, damit der Inhalt nicht auf den Fußboden schwappte. Die Passagiere wurden per Lautsprecher aufgefordert, sich anzuschnallen, außerdem wurden Spucktüten verteilt.
Aus der Ablage fielen Gepäckstücke herunter. Auch Kalles Gebetsmühle knallte mit solcher Wucht auf den Fußboden, dass die Automatik ansprang. Das Gerät begann sofort mit gewaltiger Lautstärke einen eifrigen Gottesdienst, sodass die ganze Kabine widerhallte. Lauri versuchte, das Mikrofon abzuschalten, aber der Apparat gehorchte nicht, im Gegenteil, er wurde noch lauter. Plötzlich unterbrach er die Hindu-Andacht und begann mit einer ohrenbetäubenden chinesischen Ansprache. Die Passagiere, die die Sprache verstanden, staunten nicht schlecht. Sie informierten Lauri und Kalle, dass es sich um obszöne Worte handelte, regelrechte Pornografie. Die Mühle erzählte lüstern und in allen Einzelheiten vom Geschlechtsleben der Menschen.
Lauri und Kalle staunten über die Schweinereien in ihrer Mühle. Wer hatte diese Obszönitäten aufgenommen? Hatte sich womöglich der Dalai Lama zu dieser Geschmacklosigkeit hinreißen lassen? Natürlich nicht, ein geistliches Oberhaupt Tibets würde sich niemals für so etwas hergeben, war er doch ein kultivierter und anständiger Mann. Aber irgendein niederträchtiger Kerl musste das schließlich verzapft haben, denn die Gebetsmühle wäre wohl kaum von sich aus zu solch menschlichem Handeln fähig.
Die Mühle wechselte jetzt von den chinesischen zu englischen Obszönitäten. Nun verstanden auch Lauri und Kalle, was das Gerät von sich gab. In der Tat schien es den Verstand verloren zu haben. Es schmetterte seine schweinischen Botschaften heraus, dass es seinen Besitzern die Sprache verschlug. Nur in den schmierigsten Sexhöllen bekam man solche Zoten zu hören. Alle Passagiere starrten die beiden Finnen verärgert an. Kalle blieb nichts weiter übrig, als die Bodenplatte der frivolen Mühle abzuschrauben und den Akku herauszunehmen, erst da verstummte sie. Lauri erhob sich und entschuldigte sich bei den Mitreisenden für den Zwischenfall. Er bedauerte das Verhalten der Gebetsmühle und erklärte, dass er und sein Freund nicht die Urheber der Obszönitäten seien.
Die unruhige Flugphase dauerte fast eine Stunde. Lauri und Kalle fragten sich, ob sie sich nicht doch auf ein zu großes Abenteuer eingelassen hatten. An ihrem Ziel, in Tibet, würden ihnen keine Sicherheitsgurte helfen, sich vor den Gefahren des Gebirges zu schützen.
»Schade, dass uns die frivole Mühle nicht beim Beten hilft. Hoffentlich knallen wir nicht gegen eine Gebirgswand, die Maschine schaukelt immer schlimmer«, meinte Lauri.
Kalle beruhigte seinen Reisegefährten und sagte ihm, dass sie ganz sicher mit dem Apparat würden beten können, wenn sie nur erst in der Bahn säßen.
In Peking verweilten sie zwei Tage und erkundeten
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