Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
die Lauri und Kalle immer mehr verblüffte. Sie vermochte nämlich eigenmächtig zu entscheiden. Die frivolen Sexmonologe gingen auf ihre Initiative zurück. Sie hatte außerdem diverse Stimmen aufgenommen und sie bei den unpassendsten Gelegenheiten abgespielt, ja sie war sogar so weit gegangen, mit Lauris und Kalles Ehefrauen Kontakt aufzunehmen und ihnen mithilfe des eingebauten Radios die seltsamsten Geschichten über das Treiben ihrer Männer nach Finnland zu übermitteln. Nie konnte man sicher sein, was sie als Nächstes von sich geben würde.
Auf der Fahrt nach Jaipur begann die Mühle, irgendein indisches Trink- oder Bänkellied zu grölen, und als sich die anderen Reisenden beschwerten, grölte sie nur noch lauter und beschimpfte ihre Kritiker. Lauri und Kalle versuchten, den Ton leiser zu stellen, aber es half nicht. Wieder mussten sie die Bodenplatte abschrauben und die Elektrokabel aus den Akkus ziehen.
Konnte man all das als mechanisches Denken bezeichnen, oder war es durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren, wie etwa Stromschwankungen oder Lecks am Akku, bedingt? Oder handelte es sich einfach um einen dummen Zufall, eine Laune der Natur?
Nach der Ankunft in Jaipur sinnierte Kalle zum Zeitvertreib darüber, wie es wäre, wenn sich seine Erfindung, die Gebetsmühle, tatsächlich als selbstständiges Wesen erweisen würde, einem Menschen ähnlich. Der Kasten könnte sich – problemlos und in kurzer Zeit – zu einem religiösen Führer entwickeln, oder zumindest zu einem geistlichen Strohhalm, obwohl er ja ganz sicher nicht über einen angeborenen menschlichen Verstand verfügte.
»Es wäre nicht übel, wenn wir die Mühle herumtragen und ihr befehlen könnten, in riesigen Kirchen katholische Messen abzuhalten.«
»Oder den islamischen Muezzin zu geben! Unter den Kerlen könnte sie jedenfalls bestehen, sie hätte die lauteste Stimme«, ergänzte Lauri.
Kalle stellte Überlegungen an, was wohl mit der Gebetsmühle los war. War sie vom Teufel geritten? Hatte irgendein Schurke mit flinken Fingern sich ihrer bemächtigt und sie auf Frivolitäten getrimmt? Jedenfalls schien es momentan unmöglich, sie wieder auf das manierliche Verhalten eines gewöhnlichen Computers oder zumindest eines Telefons umzuschalten. Das Monstrum war außer Rand und Band.
Lauri bezweifelte, dass Kalles Apparat ein Seelenleben besaß, eher war er defekt und gab einfach sämtliche Botschaften von sich, die er mit seinen hochempfindlichen Geräten aus dem Äther empfing. Er war ja wie eine kleine Rundfunkstation, war anfällig für Stromschwankungen und gab automatisch alles wieder, was in ihm gespeichert worden war und was er mit seinen eigenen Antennen empfangen hatte. Lauri erzählte, dass seine Familie irgendwann in den 1960 er-Jahren eine kleine Sommerwohnung am Päijänne gemietet hatte. Dort hatte sich ein Batterieradio ähnlich verhalten. Es hatte sich selbstständig den passenden Wellenbereich gesucht, und wenn es ihn gefunden hatte, hatte es das jeweilige Programm laut und zu aller Missfallen herausgedröhnt, ob es sich nun um Musik oder um fremdsprachige Worte gehandelt hatte. Erst als der benachbarte Milchbauer ihnen erlaubt hatte, das Radio an sein Stromnetz anzuschließen, hatten sie die Sender selbst wählen können, aber sowie sie es vom Netz genommen hatten, hatte dasselbe Spektakel wieder von vorn begonnen. Ein umherziehender Zigeuner hatte das störanfällige Gerät endlich außer Gefecht gesetzt, er hatte es an der Deichsel seines Pferdewagens platt geschlagen. So war, dank dieses Mannes, im Dorf wieder Ruhe eingekehrt. Später hatte Lauris Vater das Radio repariert, aber es war sich in seinem Verhalten treu geblieben. Dasselbe erwartete Lauri nun auch von Kalles Erfindung.
Auf dem Flughafen von Jaipur verließ ein Teil der Passagiere das ankommende Flugzeug, das nur einen Zwischenstopp einlegte. Lauri und Kalle beobachteten eine Gruppe von fünf älteren finnischen Frauen, die anscheinend ein großes Verlangen nach einer Zigarette hatten. Im Abfertigungsgebäude gab es jedoch keinen extra ausgewiesenen Raucherbereich, sodass sich die Frauen draußen neben das Flughafengebäude stellten und sich ihre Zigaretten anzündeten, sie standen auf dem Rasenstreifen unmittelbar neben der Start- und Landebahn. Gierig sogen sie den Rauch ein, aber lange war ihnen dieses Vergnügen nicht vergönnt. Mehrere Beamte des Bodenpersonals kamen angerannt, sogar ein paar Polizisten. Sie machten den Frauen klar, dass die
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