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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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zur Insel der Toten, die im Nebel verborgen liegt.
    Mich erstaunt meine Reaktion auf Durands Verrat, beziehungsweise der Umstand, dass ich eigentlich gar nicht darauf reagiere. Vielleicht lautet die Wahrheit schlicht und einfach: Ich habe aufgehört, ihm zu vertrauen, als klar wurde, dass sein Glaube nicht dem meinen entspricht.
    Ich gehe auf dem Grund dieses Meeres aus Nebel, und eine Art innerer Kompass zeigt mir den Weg zur Insel.
    Denn ich weiß , dass ich dorthin unterwegs bin. Beweise brauche ich nicht. Mein Glaube, den ich zwanzig Jahre lang für fast verloren hielt, gewinnt erstaunlicherweise neue Kraft. In dieser Stadt gibt es etwas, das über menschliches Verstehen hinausgeht. Und auch vorher, während der Reise. Etwas, das ich nicht erklären kann.
    Als junger Priester habe ich mich nur als unbedeutenden Soldaten im Kampf des Guten gegen das Böse gesehen, und auch meine Widersacher spielten keine große Rolle. Doch wenn diese Auseinandersetzung auf einem Schachbrett stattfindet, und wenn ich darauf ein Bauer bin … Mir scheint, es sind keine anderen Bauern übrig geblieben, nur einige wichtige Figuren. Die Partie neigt sich dem Ende entgegen; es kommt auf jeden Zug an.
    Ich frage mich, wem die Hand gehört, die mich bewegt.
    Wer ist der Spieler, der den Bauern namens John Daniels bewegt?
    Bis vor wenigen Tagen bin ich sicher gewesen, die Antwort zu kennen. Ich habe mich als Soldat Gottes gefühlt.
    Jetzt bin ich nicht mehr davon überzeugt.
    Als ich mit siebzehn Jahren zu den Jesuiten kam, gaben sie mir ein Buch über Jesus zu lesen. Ein Buch, dessen Autor sich alle Mühe gab, unseren Heiland als reinen Menschenabkömmling darzustellen. Nachdem ich es gelesen hatte, ging ich zu dem Priester, der mein Seelsorger sein sollte, und berichtete ihm von meinem Zweifel. Warum hatten sie mir dieses Buch zu lesen gegeben, das meinen ganzen Glauben erschütterte?
    Der Priester lächelte.
    »Deinen ganzen Glauben?«, erwiderte er. »Soll das heißen, du hast den Glauben an Jesus verloren?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich glaube noch an ihn.«
    »Dann kann dein Glaube nur reiner geworden sein. Du hast dich von Blendwerk und Flitter befreit. Dazu diente die Lektüre des Buches.«
    Jener Priester war damals bereits alt. Wenn er heute noch lebte, hätte ich viele Fragen an ihn.
    Zum Beispiel: »Wem nützt diese Reise etwas? Viele Menschen sind gestorben, und wofür?«
    Was die Frage betrifft, warum ich meine Mission trotz allem fortsetze … Die kann nur ich allein beantworten.
    Niemand sonst ist dazu imstande.
    Und derzeit habe ich keine Antwort.
    Ich kann den Weg nur fortsetzen und durch den Nebel zur Insel marschieren.
    Ich bin wie blind, sehe gerade genug vor mir, um zu wissen, wohin ich den Fuß setze.
    Trotzdem weiß ich, dass die Richtung stimmt.
    Der Boden unter mir ist glatt und ohne Hindernisse.
    Aber heißt es nicht: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert?
    Ich schüttele den Kopf, erstaunt über meine wirren Gedanken.
    Verliere ich den Verstand?
    Vielleicht bin ich bereits verrückt. Unbewaffnet schicke ich mich an, ein Wesen zu besuchen, das die Macht hat, Tote wiederauferstehen zu lassen …
    Die Nebelschwaden sind so dicht, dass ich nicht einmal meine Hände sehe. Nach all dem, was ich in den letzten Tagen erlebt habe, oder erlebt zu haben glaube … Vielleicht bin ich selbst nur ein Geist, eine Illusion.
    Aber selbst wenn das stimmt – ich gehe trotzdem weiter, begleitet von Zweifel und Furcht. Ich wandere durch graues Nichts, Gefahren und Antworten entgegen.
    Eine mehrere Meter hohe Mauer aus Steinen und getrocknetem Schlamm kündigt die Insel an. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu erklettern. Ich muss dem Verlauf der Mauer folgen und nach einem Aufgang suchen.
    Ich halte nach einer Lücke Ausschau, und nachdem ich fast zwei Seiten des von der Insel gebildeten Rechtecks hinter mich gebracht habe, finde ich eine Treppe, deren Stufen aus einstigem Schlamm bestehen. Ich sehe nur die ersten beiden von ihnen – sie sind mit Gedenktafeln ausgelegt.
    Der obere Teil der Treppe verschwindet im Nebel.
    Ich gehe die Stufen hoch und erreiche graues Tageslicht.
    Vor mir erscheint ein großes schmiedeeisernes Tor.
    Jemand hat es rot angestrichen.
    Mit der gleichen Farbe hat eine unsichere, zitternde Hand auf die rechte Säule geschrieben:
    JERUSALEM’S.
    Das S ist nicht vollständig und endet mit einem vertikalen Strich.
    Jerusalem.
    Mir fallen Worte aus der Offenbarung ein.
    Und ich, Johannes, sah

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