Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Mann …
Aber vielleicht sollte es Jerusalem’s Lot heißen, wie der Titel des Romans von Stephen King. Brennen muss Salem.
Ein Roman über Vampire.
Über lebende Tote, die eine Stadt heimsuchen.
Was auch immer die rote Schrift bedeuten mag – ich öffne das Tor.
In einem schlechten Horrorfilm hätte es gequietscht, aber in diesem Fall bleibt alles still. Das Tor öffnet sich lautlos.
Es ist ein beeindruckender Anblick.
Wohin ich den Blick auch richte, überall erstrecken sich lange Gräberreihen. Hunderte, Tausende von Gräbern. Am Horizont dieser Welt der Toten ragen die Reste von Kolumbarien mit vertikalen Bestattungsnischen auf.
Dies ist wirklich eine Nekropole, eine Stadt der Toten.
Ich gehe über Schnee, der wie altes Holz unter mir knirscht.
An diesem Ort kann man sich nicht lautlos bewegen.
Im Traum bin ich hier schon einmal gewesen, als mir das Wesen, das man Patriarch nennt, sein Reich gezeigt hat. Als ich über einen der Wege gehe, die an den Gräbern vorbeiführen, komme ich mir wie ein Schauspieler vor, der eine Szene wiederholt.
Gewissheit gibt es hier nicht.
Aber seltsamerweise auch keine Unruhe.
Natürlich muss dieser Ort ganz anders gewirkt haben, als Bäume und Sträucher noch grün waren und keine toten Gerippe. In der Ferne zeigen sich die dunklen Umrisse einer Kirche, doch ihr Anblick spendet mir keinen Trost. Sie ist einfach nur ein Gebäude, mehr nicht. Die neue Welt hat vielen Dingen Sinn und Bedeutung genommen.
Wie konnte ich dies für eine Ausnahme halten? Nur wegen eines Traums?
Es gibt kein Grün mehr. Weder hier noch sonst wo.
Alles ist grau oder weiß wie der Schnee, der noch immer fällt, mit großen Flocken.
Was bewegt meine Füße?
Bestimmt nicht die Überzeugung, meine Mission zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können.
Diese Hoffnung habe ich bereits aufgegeben. Daran denke ich nicht mehr. Ich weiß, dass die Kraft, die mich antreibt, nur eine Illusion ist. Vielleicht genügt sie nicht einmal, um diesen Ort zu verlassen. Der Mangel an Nahrung und Schlaf macht mich langsam. Ich bin eine sonderbare Schildkröte in Tarnfarben, umgeben von einer Welt, in der es nichts Grünes mehr gibt, das zu den Tarnfarben passen würde.
Wie im Traum sind die Inschriften der meisten Grabsteine nicht mehr zu entziffern.
Ich wanke an uralten Gräbern vorbei.
Die Zeit hat versucht, sie zu verschlingen, und sie steht unmittelbar vor dem Erfolg. Wenn niemand eingreift und die Schriften erneuert, werden sie bald ganz verschwunden sein, und mit ihnen die Erinnerung an die Toten.
Ich rücke den Schal vor meinem Gesicht zurecht und fordere meinen rechten Fuß auf, sich zu bewegen. Er rutscht nach vorn, einen halben Schritt weit.
Dann ist der linke Fuß an der Reihe.
So setze ich den Weg fort, wie ein Roboter mit fehlerhafter Programmierung.
Jeder Schritt ist eine große Mühe, als hätte sich die Schwerkraft plötzlich verdoppelt. Die Adern auf meinen Schläfen schwellen an und pulsieren.
Früher einmal kannte ich Gebete für alle möglichen Situationen, sogar eines, das dazu diente, Gott um Regen zu bitten, was mir damals – und auch heute noch – absurd erschien. Ich frage mich jetzt: Welches Gebet würde ich wählen, um die Welt in Ordnung zu bringen?
Vielleicht das Requiem aeternam , das Gebet für die Toten. Während der Reise habe ich es oft gesprochen.
Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich plötzlich merke, dass jemand auf einem Grab sitzt. Es handelt sich nicht um eine Statue wie die anderen, die diesen Teil des Friedhofs schmücken, denn sie hat die Farben eines lebenden, realen Geschöpfs. Doch ihre Reglosigkeit verunsichert mich. In mir steckt nur wenig mehr Leben als in einem Toten, aber ich gehe schneller, um die in Weiß gekleidete Gestalt zu erreichen, die mich nicht einmal zu sehen scheint.
Ich nähere mich ohne jede Vorsicht.
Eis bedeckt die Gestalt. Die Farben des Lebens werden schon bald im Schnee verschwinden.
Die Kleidung besteht aus hart gefrorenen Lumpen.
Das Gesicht ist zwar voller Pusteln und Risse, wirkt aber ruhig und friedlich. Die Andeutung eines Lächelns liegt auf den Lippen.
Alberto, flüstert eine Stimme in meinem Kopf.
Die Stimme des Patriarchen.
Des schwarzen Ungeheuers, das von sich behauptet hat, sein Name sei Legion.
Es flüstert nur, doch die drei Silben des Namens explodieren regelrecht in
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