Die Yoga-Kriegerin
hat es mich wirklich verletzt.« In Wahrheit hatte ich gerade erst all dieses emotionale Narbengewebe mithilfe der Therapie weggerissen; und ich war ein großes bluttriefendes Wrack und so sensibel, dass mir selbst der Luftzug wehtat, wenn er an mir vorbeiging.
Johns erste Reaktion war: »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.« Ich reagierte innerlich heftig darauf: Aha, meine Bedürfnisse zählen also nicht . Das stimmte so nicht, aber das war es, was in mir ausgelöst wurde. Ich wäre am liebsten rausgegangen, aber ich zwang mich, zu bleiben und es zu erklären.
»Warum hast du mir das nicht sofort gesagt?«, fragte John berechtigterweise.
Ich wechselte von beschämt über wütend zu defensiv. Ich stieß hervor: »Ich sage es dir eben jetzt .«
Nach einer Diskussion, die ein gefühltes Jahr zu dauern schien, gab John schließlich zu: »Du hast recht. Das war eine unbedachte Äußerung. Ich habe nicht darüber nachgedacht, aber es war ja nicht böse gemeint.«
Das war alles, was er dazu zu sagen hatte. Ich wollte eine ausführlichere Erklärung von ihm, eine, die zu meiner heftigen Reaktion passte. Doch John sprach seine eigene Wahrheit aus ; es war keine große Sache für ihn gewesen. Für mich hingegen war es eine gewaltige Schlacht, die auszufechten mir alles abverlangte. Das war eine mächtige Lektion für mich: Gib dem Zuhörer die Freiheit, auf die Weise zu reagieren oder zu antworten, wie er oder sie es eben will.
Ich bemerkte später, dass dieses Wahrheit-Sprechen eine Reihe von kleinen, aber wichtigen Erfolgen mit sich brachte: Ich hatte dem Verlangen, mich zu verschließen, nicht nachgegeben. Ich war nicht weggegangen. Ich hatte nicht als Ablenkungsmanöver meine kleinen Pfeile der Wahrheit in Johns empfindliche Teile geschossen. Ich bestand darauf, das Gespräch durchzuziehen, anstatt mir zu sagen:s Schon gut. Ist ja nicht so schlimm. Davor konnte ich bis aufs Blut kämpfen für Angelegenheiten, die jemand anderen betrafen, aber nicht für meine eigenen, also war es ein Erfolg, für mich selbst zu kämpfen. Und es war ein Erfolg, zu realisieren, dass die Kontrolle über Johns Reaktion nicht in meiner Verantwortung lag. Meine Re aktion lag in meiner Verantwortung. Es war eine Erleichterung, John aus meiner psychischen Kontrolle zu entlassen – die immer so kraftraubend gewesen war – und ihn das tun zu lassen, was immer er auch gerade tat. (Diese Lektion muss ich immer und immer wieder lernen.)
TALKING CIRCLE
Ein Talking Circle (Redestabkreis) ist eine großartige Möglichkeit, um das Wahrheit-Sprechen zu praktizieren. Traditionellerweise ist das eine Zeremonie, bei der Menschen im Kreis sitzen und einen zeremoniellen Gegenstand – am häufigsten einen kleinen Stock – weiterreichen, und während sie den Stock halten, dürfen die Menschen das aussprechen, was ihnen am meisten am Herzen liegt.
Während derjenige spricht, der den Stock hält, sind absolut keine Unterbrechungen erlaubt, bis er seine Wahrheit fertig ausgesprochen hat. Dann sagt er: »Aho«, oder: »Amen«, oder ein anderes Wort , das anzeigt, dass er fertig ist. Danach gibt er den Stock weiter an die nächste Person im Kreis. Das geht so lange weiter, bis jeder das ausgesprochen hat, was für ihn gerade ein Thema ist. Die Gruppe kann ein Problem lösen oder auch nicht; hier geht es darum, jedem eine Stimme zu geben. (Ich nenne es scherzhaft »Zuhörkreis«, da man viel mehr Zeit mit Zuhören als mit Reden verbringt.)
Wenn ich einen Talking Circle bei der Lehrerausbildung mache, beschränke ich die Zeit jedes Sprechers auf drei Minuten, und wir machen nur eine Runde, weil ich möchte, dass meine Schüler lernen, die Wahrheit aus dem Herzen kurz und bündig auszusprechen .
Wenn du einen Talking Circle machen möchtest, sind folgende Re geln zu respektieren: Unterbrich niemanden; sprich die Wahrheit aus deinem Herzen aus , so gut du kannst; hör zu, indem du deine gesamte Aufmerksamkeit dem Sprecher schenkst; und bleib im Kreis, bis alle fertig sind. Es hilft, anfangs ein Thema vorzugeben, um den Fokus zu lenken, der sich jedoch verändern kann, während die Leute sprechen. Wenn dir etwas auf der Seele brennt, dann ist das hier der geeignete Rahmen, es auszusprechen. Es mag wie ein langer, zeitaufwendiger Prozess erscheinen, tatsächlich aber ist es eine Abkürzung des Weges, da jede Person ihre Gedanken und Gefühle ausschütten kann, während diese sich in einer gewöhnlichen Gesprächssituation womöglich über Wochen oder
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