Die Yoga-Kriegerin
hatten. Vielleicht woll ten sie auch nur jemanden dahaben, der ihnen ihre Medikamente gab oder ihnen die Füße massierte. Ich stellte fest, dass diese letzten Monate, Wochen, Tage und Minuten unglaublich wertvoll und le bendig sein konnten – solange die Menschen nur die Wahrheit aussprachen , ihren eigenen Lügen und den Selbsttäuschungen mutig entgegentraten und sich darauf konzentrierten, was ihnen wirklich wichtig war. Wir sprachen über Bedauern – wie sie ihr Leben leben würden, wenn sie nur mehr Zeit hätten – aber viel wichtiger war, dass wir uns auf diese letzten Momente auf authentische Weise konzentrierten. Ich gab ihnen die Aufgabe, mir Beauty-Reports zu sammeln, wenn ich sie besuchte. Ich bat sie also, aus ihrem Leid herauszutreten, sich umzuschauen und etwas zu finden, was ihr Herz mit Schönheit erfüllte.
Die ganze Kraft der Beauty-Reports lernte ich durch Diane ken nen, eine reizende Frau, deren Körper nach und nach vom Krebs zer stört wurde. Sie entschloss sich dazu, ihre letzten Tage zu Hause zu verbringen, wo ich sie regelmäßig besuchte und ihr mit dem Atmen half, was aufgrund der bereits durch die Tumore verhärteten Lungen schwierig für sie war. Sie lag hustend und würgend da, während ich Energie in sie fließen ließ und mit meiner reinen Willenskraft ihre Bronchien weitete, um ihr mehr kostbaren Sauerstoff zu bringen . Sie kämpfte sich ab unter meinen Händen.
Ich erzählte ihr von den Hoodoos, die ich in Utah gesehen hatte, majestätisch aufgetürmte, verrückte Felssäulen, die sich über die Schwerkraft hinwegzusetzen scheinen, wie sie so in den Himmel ragen. »Was denkst du, wie die sich gebildet haben?«, fragte ich sie. »Sie wurden vom Wind geformt. Genau so musst du mit diesen Tu moren atmen. Du musst einfach nur wie der Wind atmen, als er diese Steine geformt hat – Atem formt den Körper.« Ich half Diane, sich darauf zu konzentrieren, die Luft um die Blockierungen in ihren Lungen herum zu atmen wie Wind, der um die Tumore herumwir belte und sie formte. Und schließlich beruhigte sich ihr Atem, und ihr Körper wurde immer friedlicher.
Gemeinsam fanden Diane und ich heraus, wie wir auch andere Kämpfe auflösen konnten. Als der Schmerz zunahm und das Stehen für sie immer beschwerlicher wurde, reduzierte sich ihr Leben nur mehr auf das Bett, in dem sie lag, angeschlossen an verschiedenste lebenserhaltende Geräte. Es wurde unsere Aufgabe, die Welt zu ihr zu bringen. »Wie sieht dein Beauty-Report heute aus?«, fragte ich sie. »Was hast du heute gesehen, was Schönheit verkörperte?«
Das Lächeln ihres kleinen Sohnes. Die Blumen vor dem Fenster. Sogar die lärmenden Teenager nebenan, deren Herumgealbere manchmal ihre Ruhe störte. Diane fand Schönheit in all dem. Wir machten es uns zur Regel, unsere Beauty-Reports bei jedem Treffen auszutauschen, indem wir einander erzählten, was genau in diesem Moment am wichtigsten für uns war. Sie war einfach unglaublich – dem Tod so nahe, lag sie da und behauptete dennoch überzeugt: »Ich habe ein großartiges Leben.« Es gab eine Sache, die sie bedau erte, ein Ziel, das sie nicht erreicht hatte. Als leidenschaftliche Schü lerin des Buddhismus wollte sie eine Bodhisattva sein, ein Wesen auf dem Weg zur Erleuchtung, dessen Weisheit eine Inspiration für andere ist. Als ich einem buddhistischen Freund von ihr erzählte, lächelte er erfreut. »Aber sie ist eine Bodhisattva ! Sie liegt da im Sterben und sorgt sich immer noch um andere.« Ich erzählte Diane von seiner Erkenntnis, und sie freute sich sehr über seine Betrachtungsweise.
Schließlich wurde jedoch klar, dass es Zeit für Dianes Körper war, sich geschlagen zu geben; sie hatte genug vom Kämpfen gegen ihre Krankheit, genug von den grässlichen Schmerzen, die ihren Körper peinigten. Doch sie zögerte, den Kampf aufzugeben. »Was musst du noch vollbringen, bevor du stirbst?«, fragte ich sie.
»Ich kann noch nicht gehen«, sagte sie mir. »Ich bin den Menschen verpflichtet, die ich liebe.« Zu sterben würde bedeuten, ihren geliebten Ehemann und ihren kleinen Sohn im Stich zu lassen, eine zu herzzerreißende Aussicht, um sie überhaupt in Erwägung zu ziehen. Dennoch war es zu schmerzhaft zu bleiben.
»Diane, du solltest unsere Liebe für dich als deine Flügel nutzen«, sagte ich ihr. »Binde dich nicht fest, sondern reite auf diesen Schwingen davon. Es gibt kein Zurück für dich, Diane. Es ist an der Zeit weiterzuziehen.« Diane sank zurück, ihr Körper
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