Die Zaehmung
hatte sie nichts zu befürchten. Sie suchte auf dem Grund einer Truhe am Fußende ihres Bettes und fand dort die Bauernkleider, die sie damals beim Jahrmarktsbesuch getragen hatte. Alles, was sie noch tun mußte, war, ihre Haare zu verdecken, das Gesicht dem Boden zuzudrehen und ein Pferd zu stehlen.
Eine Stunde später galoppierte sie gen Osten, fort von Moray Castle und dem Dorf, und auf die Stelle zu, wo die Kräuter wuchsen, die ihrem Gatten Linderung verschaffen würden. Der Wind auf ihrem Gesicht und das Muskelspiel des Pferdes unter ihren Schenkeln waren ein herrliches Gefühl. Sie lachte laut, als sie an das Kind dachte, das sie unter dem Herzen trug, und das Glück, das sie nun besaß.
Sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, daß sie die Reiter weder sah noch hörte, die unter den Bäumen hervorpreschten. Die Reiter hatten sie umzingelt, ehe sie diese bemerkte.
»Schaut euch das an«, sagte einer der fünf Männer. »Ein Bauernmädchen auf so einem Pferd.«
Man brauchte Liana nicht erst zu sagen, wer diese Männer waren. Ihre Kleidung war kostbar, und aus ihrer Haltung sprach Arroganz, die sich nur die Gefolgsleute eines mächtigen Grundherrn erlauben konnten. Das waren Männer im Dienste der Howards. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, daß sie nicht herausfanden, wer sie war.
»Ich habe das Pferd gestohlen«, sagte sie im wimmernden Ton. »Oh, bitte, verratet mich nicht meiner Herrin.«
»Und was gibst du uns dafür, daß wir es ihr nicht verraten?« meinte ein hübscher junger Mann im spöttischen Ton.
»Alles, oh, Sir, alles«, erwiderte Liana mit tränenerstickter Stimme.
Ein anderer Mann ritt von hinten an sie heran. Er war älter, mit grauen Haaren an den Schläfen und von etwas fülliger, aber muskulöser Gestalt, und einigen Unmutsfalten in seinem vormals wohl recht hübschen Gesicht. »Werft das Mädchen aus dem Sattel und nehmt das Pferd«, befahl dieser Mann. »Es ist ein Peregrine-Gaul, und deshalb nehme ich ihn in meinen Besitz.«
Da konnte Liana nicht umhin, diesem Mann einen scharfen Blick zuzuwerfen. War dieser Mann etwa Oliver Howard, der Rogans erste Frau geraubt hatte? Liana senkte den Kopf und begann vom Pferd herunterzusteigen, als zwei Männer sich an ihr vergriffen und ihren Leib und ihre Brüste betasteten. Sie suchte sich ihren Zudringlichkeiten zu entziehen, und dabei fiel ihr die Haube vom Kopf, und ihre langen blonden Haare rollten ihr über den Rücken hinab.
»Schaut euch das an«, rief einer der Männer und faßte nach ihren Haaren. »Ich glaube, ich hätte gern ein Stück von dieser kleinen Pferdediebin mitgenommen.«
»Bring sie her zu mir!« befahl der ältere Mann.
Die Arme auf den Rücken gedreht, mußte sich Liana neben das Pferd dieses Mannes stellen. Sie hielt den Blick auf den Boden gerichtet.
»Schau mich an!« befahl der Mann. »Schau mich an, oder du wirst dir bald wünschen, daß du besser meinen Befehl befolgt hättest!«
Trotzig, damit er nicht merkte, wie groß ihre Angst war, schlug Liana die Augen zu dem Mann auf. Während er sie studierte, schienen die Falten eines jahrelangen Zornes sich auf seinem Gesicht zu glätten, bis er schließlich den Kopf in den Nacken warf und brüllte vor Lachen.
»Nun, Lady Liana, erlaubt, daß ich mich Euch vorstelle. Ich bin Oliver Howard«, sagte er dann. »Und Ihr, teure Lady, habt mir gegeben, was ich mein Leben lang in meine Hand bringen wollte. Ihr habt mir die Peregrines ausgeliefert.«
»Niemals«, sagte sie. »Rogan wird sich Euch niemals ergeben.«
»Nicht einmal als Preis für Eure Rückgabe?«
»Er hat sich Euch wegen Jeanne nicht ergeben, und er wird es auch nicht meinetwegen tun«, sagte sie und hoffte, ihre Stimme klänge so kräftig wie ihre Worte. Innerlich zitterte sie wie Espenlaub.
Was würde Rogan wohl denken, wenn die Howards sie gefangennahmen?« Würde er glauben, sie würde ihn verraten, wie das Jeanne vor so vielen Jahren getan hatte?
»Ergreife sie«, sagte Oliver Howard zu einem seiner Männer. »Setze sie vor dich auf dein Pferd. Es kostet dich dein Leben, wenn sie dir entwischt.«
Liana war viel zu niedergeschlagen, um sich gegen die Hände des Mannes zu wehren, die er um ihren Leib legte. Was jetzt geschah, war allein ihre Schuld; sie konnte keinem anderen einen Vorwurf machen — nur sich selbst.
Der Mann, der sie auf seinem Pferd festhielt, flüsterte ihr ins Ohr. »Die Howards haben einen Zauber für die Frauen der Peregrines. Werdet Ihr einen von ihnen heiraten?
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