Die Zaehmung
wollte ihm nachrennen und sich entschuldigen. Es hatte ihr weh getan, als sie die Wut in seinen Augen sah. Vielleicht war es besser, wenn er sie ignorierte. Vielleicht war es besser . . .
»Vielen Dank, Mylady.«
Liana blickte nach unten und sah eine magere, verhärmte Bauersfrau, den Kopf unter der zerlumpten Kapuze gebeugt, die nun den Saum von Lianas Kleid ergriff und diesen küßte.
»Vielen Dank«, wiederholte sie.
Die anderen Bauern kamen jetzt herbei und verneigten sich tief vor ihr, und ihre Unterwürfigkeit machte Liana fast krank. Sie haßte es, Leute in solchem Elend zu sehen wie diese. Die Bauern auf dem Land ihres Vaters waren gesund und gut genährt; während diese grau waren im Gesicht vor Erschöpfung, Krankheit und Angst.
»Steht auf — steht alle auf«, befahl sie, und wartete dann, während sie ihr langsam gehorchten und die Angst in ihren Augen noch zunahm. »Ich möchte, daß ihr mir jetzt zuhört. Ihr habt vernommen, was mein Mann gesagt hat: Er möchte den Dieb haben, und ihr werdet ihn mir liefern.« Sie sah, wie bei ihren Worten die Gesichter ihrer Zuhörer sich verhärteten. Da steckte noch Stolz in diesen Leuten — ein Stolz, der sie veranlaßte, Diebe vor einem unbarmherzigen Grundherrn zu beschützen.
Ihre Stimme wurde weicher: »Aber zuerst werdet ihr essen. Du —« sie deutete auf einen Mann, der jetzt einen blutigen Rücken gehabt hätte, wenn sie nicht dazugekommen wäre — »du gehst hin und schlachtest die fetteste Kuh, die du auf den Weiden der Peregrines finden kannst, und dazu noch zwei Schafe, bringst dann alles hierher und röstest das Fleisch. Ihr sollt essen; denn ihr werdet in den nächsten Wochen viel Arbeit haben.«
Keiner der Bauern rührte sich von der Stelle.
»Es wird bald Abend sein. Also geh!«
Einer der Männer sank auf die Knie, und sein Gesicht spiegelte eine fast tödliche Angst wider: »Mylady, Lord Rogan bestraft jeden, der sein Eigentum anfaßt. Wir dürfen weder seine Tiere schlachten noch sein Korn essen. Er behält das alles für sich und verkauft es.«
»So war es, ehe ich hierher kam«, sagte Liana geduldig. »Lord Rogan hat Geld nicht mehr so nötig wie früher. Geh und schlachte die Tiere, wie ich es dir angeschafft habe. Ich werde den Zorn des Grundherrn auf mich lenken.« Sie schluckte bei diesen Worten; aber sie durfte den Bauern nicht zeigen, daß sie Angst hatte. »Nun sagt mir, wo der Bäckerladen ist — der Bäcker, der eine Fehde mit meinem Mann hat.«
Es dauerte Stunden, bis Liana ihre Pläne in Gang setzen konnte. Zwei Wochen waren eine sehr knappe Frist. Die sechs Ritter in ihrer Begleitung, die zunächst schweigend dabeigestanden und ihr mit dieser herablassenden
Belustigung zugesehen hatten, wie sie Männer immer zur Schau tragen, wenn Frauen etwas tun, das sie selbst nicht fertigbringen, wurden von ihr ebenfalls eingespannt.
Sie ließ ein Weizenfeld abmähen, gab das geerntete Korn dem Bäcker und das Stroh den Bauern, damit sie ihre schadhaften Dächer damit flicken konnten. Sie befahl einem Ritter, eine Generalreinigung der Straßen im Dorf, die mit menschlichen und tierischen Exkrementen überlaufenden Kloaken glichen, zu überwachen. Ein anderer Ritter beaufsichtigte eine Waschung der Bauern, die genauso schmutzig waren wie ihre Straßen. Zuerst war sie empört darüber, daß die Kaufleute sich nicht auf ihr Wort, daß alles bezahlt würde, verlassen wollten; aber als sie sich an die Geschichte erinnerte, wie die Gefolgsleute ihres Mannes mit dem Bäcker umgesprungen waren, verzieh sie den Kaufleuten und gab ihnen Silbermünzen aus dem Säckchen, das sie auf ihrem Pferd festgebunden hatte.
Die Sonne ging unter, als sie nach Moray Castle zurückkehrte, und sie lächelte, weil zwei Ritter todmüde in ihren Sätteln hingen. Ihr Plan ging dahin, die Lebensverhältnisse der Bauern so weit aufzubessern, daß ihre Loyalität dem Grundherrn galt und nicht den paar Dieben, die vermutlich ihre Beute mit den hungrigen Bauern teilten. Es war nicht leicht, in zwei Wochen ein heruntergekommenes Dorf wieder in eine gesunde Kommune zu verwandeln; aber sie wollte es jedenfalls versuchen.
Der Gestank des Burggrabens beleidigte noch immer ihre Nase, als sie sich mit ihrem Gefolge der Burg näherte, und sie wußte, daß sie sich Rogans Erlaubnis holen mußte, diese Jauchengrube abzulassen, ehe die Männer sich an diese Aufgabe heranwagten. Aber innerhalb der Burgmauern sah es schon viel besser aus als am Morgen. Da lag nicht mehr so
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