Die Zaehmung
wird eines Tages schon noch ein Licht aufgehen.’ Und ich habe recht behalten. Er ist ein guter Mann, mein Baudoin, und wenn man ihn braucht, ist er stets zur Stelle. Schaut Sie euch an. Wie zwei Erbsen aus einer Schote.«
Liana sah zu den beiden Männern hinüber, die sich jetzt stumm gegenüberstanden, zwischen ihnen der Junge, der ebenfalls schwieg.
»Lehnt Euch nach vorn, damit ich Euch die Haare waschen kann«, befahl Gaby.
Liana tat, was die Frau ihr anschaffte.
»Redet Eurer auch so wenig wie meiner?« fragte Gaby.
Liana wußte nicht recht, wie sie sich verhalten sollte — ob sie sich mit dieser Frau anfreunden durfte oder nicht. Es war schon seltsam, welchen Einfluß Kleider auch auf die geistige Verfassung eines Menschen hatten. Wenn sie ihr bestes blaues Seidengewand getragen hätte, hätte sie wohl erwartet, daß diese Frau sich vor ihr verbeugte, ehe sie mit ihr sprach. Doch in dieser groben wollenen Bauernkleidung hatte sie irgendwie das Gefühl, als wäre diese Frau . . . nun, als wären sie ebenbürtig.
»Wenn ich ihn irgendwo festketten kann, wird er mit mir reden; aber nicht viel«, sagte Liana schließlich.
»Gebt den Kampf nicht auf. Er wird sich vollkommen in sich selbst zurückziehen, wenn Ihr das zulaßt. Und bringt ihn zum Lachen. Kitzelt ihn.«
»Ihn kitzeln?« Schwarz gefärbtes Wässer strudelte an Lianas Gesicht vorbei.
»Hmmm«, sagte Gaby. »Zwischen den Rippen. Trotzdem sind es gute Männer. Sie sind nicht wankelmütig, was Gefühle anlangt. Wenn er Euch heute liebt, liebt er Euch bis in alle Ewigkeit. Nicht so wie manche Männer, die Euch heute lieben, morgen wieder eine andere, und übermorgen eine dritte. Da — das sollte genügen. Euer Haar ist wieder blond.«
Liana setzte sich auf und wrang ihre nassen Haare aus. »Aber nun können wir nicht mehr zum Jahrmarkt zurückkehren. Jemand könnte mich dort erkennen.«
»Nein«, erwiderte Gaby ernst. »Ihr werdet nicht dorthin zurückkehren wollen. Es wurde heute morgen davon geredet, wer dieser geheimnisvolle Mann, der Baudoin besiegte, gewesen sein müsse. Ihr solltet den Jahrmarkt nicht mehr besuchen.« Und dann hellte sich ihre Miene wieder auf. »Aber ich habe etwas zu essen mitgebracht,
und wir könnten hier an diesem schönen Platz bleiben.«
Gabriel erzählte Liana nicht, daß sie die Ersparnisse eines Jahres ausgegeben hatte, um Speisen für ein Festmahl einzukaufen. Hinter Gabys Frohnatur verbarg sich eine sehr ehrgeizige Frau; aber der Ehrgeiz galt nicht ihr, sondern ihrem Mann, den sie mehr liebte als das Leben.
Sie war zwölf Jahre alt gewesen, als sie diesen hübschen Mann mit den kalten Augen zum erstenmal sah und beschloß, Baudoin für sich zu erobern — egal, was es kosten würde, um dieses Ziel zu erreichen. Ihr Vater wollte, daß sie eine gute Partie machen und nicht den unehelichen Sohn eines Lords ohne Zukunftsaussichten heiraten sollte. Aber Gaby hatte ihren Väter so lange bekniet, gebettelt, beschworen und becirct, bis er schließlich Baudoins Stiefvater ein Angebot gemacht hatte.
Baudoin hatte sie ihrer Mitgift wegen geheiratet, und die ersten Ehejahre waren hart gewesen. Er hatte viele Frauen nebenher gehabt; aber Gabys Liebe war stärker gewesen als seine Lust. Und mit der Zeit hatte er sie immer mehr beachtet, war zu ihr gekommen, um bei ihr Liebe und Trost zu suchen, und als die Kinder zur Welt kamen, hatte er an ihnen ebensolche Freude wie die Mutter.
In den sechs Jahren ihrer Ehe hatte sich Baudoin von einem Frauenheld und Schürzenjäger, der von einem Bett ins andere sprang, zu einem erfolgreichen Kaufmann gemausert, der seine Frau und seine Kinder als sein kostbarstes Gut betrachtete.
Als er heute morgen Lord Rogan in der Zuschauermenge entdeckte, hatte er sofort in ihm seinen Halbbruder erkannt. Zum erstenmal seit vielen Jahren war sein alter Zorn wieder an die Oberfläche gekommen. Stunden danach hatte er Gaby gefunden, und nach langem hin und her hatte sie ihm endlich die Würmer aus der Nase gezogen und erfahren, was da im Wald passiert war. Er schämte sich, weil er einen Mann von hinten angegriffen hatte, und er erzählte Gaby auch von dem Angebot, das er angenommen habe. Und dann hatte er gesagt, daß sie sofort die Gegend verlassen und woanders von vorne anfangen müßten, denn er könne es nicht ertragen, Rogan noch einmal unter die Augen zu treten.
Gaby hatte ein rasches Dankgebet gesprochen, daß er ihnen endlich eine lang ersehnte Chance gegeben habe, und hatte sich nun
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