Die Zaehmung
du mir zurücknehmen«, sagte Rogan und ging dann mit der Waffe auf seinen Bruder los.
Auch Severn nahm sich eine Hellebarde, und die beiden Männer kämpften lang und heftig miteinander. Die Ritter, die ihnen schweigend zusahen, spürten, daß das nicht eine von ihren üblichen Zänkereien war, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit gewichtigen Ursachen.
Rogan kämpfte nicht wie sein Bruder im Zorn. Tatsächlich war er seit Jahren nicht mehr in so friedfertiger Stimmung gewesen wie jetzt, und so verteidigte er sich auch nur gegen die Angriffe seines Bruders.
Sie waren beide überrascht, als Rogan über etwas in seinem Rücken strauchelte und hinstürzte. Als Rogan sich wieder erheben wollte, setzte Severn ihm die Spitze der Hellebarde an die Kehle.
»Das ist, was die Frau mit dir macht«, sagte Severn. »Sie könnte dich ebensogut kastrieren; eine Halskette hat sie dir ja schon angelegt.«
Das kam der letzten Szene im Stück, das die Bauern aufgeführt hatten, zu nahe. Nun kochte in Rogan der Zorn hoch. Er stieß die Hellebarde zur Seite, sprang auf die Beine und ging mit bloßen Händen auf seinen Bruder los.
Sechs Ritter sprangen zu Rogan und vier zu Severn, um die beiden Männer auseinanderzuhalten.
»Du bist schon immer ein Narr gewesen, was Frauen betrifft«, schrie Severn. »Deine letzte Frau hat uns das Leben zweier Brüder gekostet; aber ich schätze, wir bedeuten dir ja nichts mehr, wenn du eine Ehefrau hast.«
Rogan bäumte sich nicht mehr gegen die Ritter auf, die ihn festhielten.
»Laßt mich los«, befahl er den Männern, und sie traten von ihm zurück. Sie hätten sich nicht in den Kampf einmischen sollen. Rogan war der Herr hier, und er hatte das Recht, mit seinem Bruder so zu verfahren, wie er das für richtig hielt.
Rogan trat nun ganz dicht an seinen Bruder heran. Severns blaue Augen loderten noch vor Zorn, und die vier Ritter hatten seine Arme nicht freigegeben. »Ich habe dir wieder einen Bruder zur Ausbildung übergeben«, sagte er ruhig. »Ich erwarte, daß du meinen Auftrag ausführst.« Damit drehte sich Rogan um und ging zur Burg zurück.
Stunden später erklomm ein schweißtriefender Severn die Treppe über den Küchenräumen und betrat Iolanthes Wohnung. Die Pracht dieses großen, sonnendurchfluteten Zimmers war überwältigend. Gold glühte, Seidenstickereien schimmerten, und Juwelen auf den Gewändern der Ladies funkelten im Licht. Doch das bei weitem schönste Objekt in diesem Raum war Iolanthe. Ihr Gesicht, ihre Figur, ihre Stimme, ihre Bewegungen — das alles war so makellos, von einer so erlesenen Lieblichkeit, daß die Leute, die sie zum erstenmal sahen, die Sprache verloren.
Als Io den Zorn auf Severns Gesicht sah, hob sie die Hand und entließ ihre drei Hofdamen in ihre eigenen Gemächer. Sie goß köstlichen Wein in einen goldenen Pokal, reichte ihn Severn, und als er diesen auf einen Zug leerte, füllte sie ihn zum zweitenmal.
»Erzähle«, sagte sie sacht.
»Es ist diese verdammte Frau«, sagte Severn.
Io wußte, wen er meinte; denn Severn beschwerte sich schon seit geraumer Zeit bei ihr über Rogans neue Ehefrau.
»Sie ist eine Delilah«, sagte Severn. »Sie saugt ihm die Kraft aus dem Leib. Sie beherrscht ihn, die Männer, die Bediensteten, die Bauern und sogar mich. Sie befahl, mein Zimmer frisch zu kalken! Kein Ort ist vor ihrem Zugriff sicher. Sie dringt sogar in Rogans Brütezimmer ein, und er tadelt sie nicht einmal dafür!«
Io betrachtete ihn nachdenklich. »Und was hat sie nun heute verbrochen?«
»Irgendwie hat sie Rogan dazu überredet, einen der Bastarde unseres Vaters in der Burg aufzunehmen, und ich muß ihn ausbilden. Er ist ein Wollkaufmann.« Severn sprach das letzte Wort mit Abscheu aus.
»Wie ist denn die Beule auf deine Stirn gekommen?«
Severn sah von ihr weg. »Der Mann hatte ein bißchen Glück gehabt bei der Übung mit den Stangen. Er wird aber niemals ein Ritter werden, egal, wie sehr sich diese Frau das auch wünschen mag. Und heute hörte ich, daß sie neben Rogan saß, als er über die Bauern Gericht hielt. Was wird als nächstes passieren? Wird er sie um Erlaubnis fragen, wenn er pissen möchte?«
Iolanthe beobachtete Severn, sah seine Eifersucht und fragte sich, wie diese neue Frau von Rogan wohl sein mochte. Sie hatte bisher immer zurückgezogen in ihren hübschen Zimmern gelebt, sie nur für einen Spaziergang auf den Wehrgängen verlassen und von dort aus das Treiben unten im Burghof verfolgt. Anfangs wäre sie jede
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