Die Zaehmung
nicht zu sich lassen.
Es war schon sehr spät, als er dann zu ihr ins Bett kam, und schlaftrunken hatte sie sich an ihn geschmiegt. Einen Moment lang glaubte sie, er würde sie wegstoßen; aber dann hatte er sie ergriffen und sie, ohne ein Wort zu sagen, nicht gerade sanft geliebt. Liana hätte sich fast über seine Heftigkeit beschwert; aber ihr Instinkt sagte ihr, daß sie still sein mußte — daß er sie brauchte.
Danach hatte er sie fest an sich gedrückt.
»Sag mir, was passiert ist«, hatte sie geflüstert.
Einen Moment lang glaubte sie, er würde es ihr sagen; aber dann rollte er sich von ihr weg, drehte ihr den Rücken zu und schlief ein. Am Morgen verließ er sie dann, ohne ein Wort mit ihr zu sprechen.
Und nun wartete sie also darauf, daß er vom Übungsfeld heimkam zum Abendessen. Mittags hatte er mit seinen Männern gegessen und sie mit ihren Ladies und Zared alleingelassen. Es war eine einsame Mahlzeit gewesen.
Liana zog sich sorgfältig an und ging hinunter. Es war nie verkehrt, sich besonders hübsch zu machen, wenn man mit einem Mann zusammen war.
Als sie die ‘Kammer des Burgherrn’ betrat, lastete ein ominöses Schweigen auf dem Raum. Zared, Severn und Rogan saßen bereits am Tisch und aßen; doch sie redeten kein Wort miteinander. Liana hatte bereits vermutet, daß Rogans Ärger etwas mit seinem Bruder zu tun hatte; aber sie hatte keine Ahnung, was der Anlaß ihrer Verstimmung sein konnte. Sie hätte Zared danach fragen können; aber sie wollte, daß Rogan es ihr selbst sagte. Sie setzte sich links neben Rogan an den Tisch und begann zu essen, was man ihr servierte. Sie suchte nach einem Gesprächsthema. »Ist Baudoin heute zum Training gekommen?« fragte sie.
Es schien kaum möglich — aber das Schweigen wurde noch tiefer. Als die beiden älteren Männer nichts sagten, blickte sie Zared fragend an.
»Kein übler Kämpfer«, sagte Zared. »Aber unser Vater hat stets gute Männer gezeugt.«
»Er ist nicht unser Bruder«, schnaubte Severn.
Zareds Augen blitzten ihn an. »Er ist genausogut mein Bruder wie du und Rogan.«
»Ich werde dir zeigen, wer ein Peregrine ist und wer nicht«, gab Severn zurück.
Dann sprangen sie alle drei auf die Beine. Severn fuhr Zared an die Kehle, und Rogan ging auf Severn los.
In diese Szene platzte nun eine Frau hinein. Liana blickte unter den gewölbten Armen von Severn hindurch, dessen Hände sich um Zareds Gurgel gelegt hatten, und ihre Augen weiteten sich vor Staunen. Im Durchgang stand die schönste Frau, die sie jemals gesehen hatte. Nein, nicht nur schön, sondern perfekt, makellos, ein
zeitloses Ideal von Frauenschönheit. Sie betrat nun den Raum, so anmutig wie ein Engel — fast schwebend eine viele Ellen lange pelzbesetzte Schleppe hinter sich herziehend. »Severn«, sagte sie und blickte ihn an, wie eine Mutter ein ungezogenes Kind anschauen mochte.
Severn ließ sofort Zareds Kehle los und sah ein bißchen verlegen zu ihr hin. Dann zog er gehorsam einen Stuhl unter dem Tisch für sie hervor. Als sie Platz genommen hatte, blickte sie zu den drei Peregrines hoch, die noch im Raum standen. »Ihr dürft euch setzen«, sagte sie wie eine Königin, die gnädig eine Erlaubnis gewährt. Liana vermochte den Blick nicht von dieser Frau abzuwenden. Sie hatte alles, was eine Frau sich erträumte: das Aussehen, die Eleganz, die Anmut. Und was am wichtigsten war — die Männer rissen sich darum, ihr zu Diensten zu sein.
»Io, du hast uns die Ehre angetan, an unserem Tisch zu erscheinen«, sagte Rogan. »Warum?«
Der feindselige Ton in Rogans Stimme war nicht zu überhören, und als Liana zu ihm hinsah, konnte sie die Andeutung eines höhnischen Lächelns auf seinen Lippen sehen. Dieses Hohnlächeln tat ihr außerordentlich gut.
»Ich bin hierhergekommen, um deine Frau kennenzulernen«, erwiderte die Dame.
Liana hätte fast »mich?« gesagt, fing sich aber noch rechtzeitig. Dann sog sie scharf die Luft ein. Wenn Rogan in Gegenwart dieser schönen Frau wieder ihren Namen vergaß, war es möglich, daß sie auf der Stelle tot umfiel.
»Liana, Iolanthe«, sagte Rogan und widmete sich dann wieder dem Essen auf seinem Teller.
Fast getroffen, dachte Liana und fragte sich, ob der Hufschmied nicht ein Brandeisen mit ihren Namen anfertigen und ihn Rogan auf den Unterarm brennen konnte, wo er ihn sehen konnte, falls er ihn wieder einmal vergaß.
»Hallo«, sagte Liana. Was sollte sie mit dieser Frau re-den? »Habt Ihr den Stoff für Euer Gewand in London
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