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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Zwölfen. Erstens gilt die Zwölf im Christentum als heilige Zahl. Sie steht für Vollkommenheit und Vollständigkeit. Die vier Evangelien bestehen alle aus drei Teilen, das ergibt ...«
    »Zwölf.«
    »Jesus hatte zwölf Apostel und war im Alter von zwölf Jahren das erste Mal im Tempel, und es gibt zwölf kleine Propheten.«
    Capelli war gelangweilt. Es musste doch eine Kultur, eine Religion oder zumindest einen Stamm im Urwald geben, bei dem die Zahl unbekannt war.
    »China«, sagte sie auf gut Glück.
    »Die Chinesen sehen die Zwölf als kosmische Zahl«, sprudelte Lorentz sofort drauflos. »In der chinesischen Heilkunde hat die Lebensenergie den Namen ›Chi‹. Dieses Chi fließt in Energiebahnen, sogenannten Meridianen, durch unseren Körper. Damit jedes Organ mit Lebensenergie versorgt wird, benötigt jeder Mensch zwölf Meridiane. Und das ist noch lange nicht alles. Das chinesische Horoskop besteht aus zwölf Tierkreiszeichen, die nach Jahren, nicht wie bei uns nach Monaten, eingeteilt werden. Und apropos Astrologie. Die westliche Welt teilt ihre Horoskope auch in zwölf Sternzeichen, und im Horoskop gibt es außerdem noch zwölf Häuser ...«
    »Islam«, sagte Capelli, als Lorentz gerade Luft holte.
    »Auch da gibt es Zwölfen en masse. Der sogenannte Imam ist der oberste religiöse Führer im Islam. Die Mehrheit der Schiiten erkennt zwölf Imame als legitime Nachfolger des Propheten Mohammed an.«
    »Judentum.« Der Islam war eine so große Religion, dass Capelli sich fürchtete, Lorentz könnte Stunden über die dort vorkommenden Zwölfen reden.
    »Es gibt die zwölf Stämme Israels, im Alter von zwölf Jahren wird bei den Juden die Bar-Mizwa, die feierliche Einführung in die jüdische Gemeinschaft gefeiert, zwölf Brote ...«
    » AUS «, rief Capelli. »Wenn ich noch mehr Zwölfen zu hören bekomme, dann werde ich noch paranoid. Muss denn diese Zahl überall sein?!«
    »Du hast ja keine Ahnung, wo die noch überall steckt«, entgegnete Lorentz. »Ich hab die halbe Nacht recherchiert und konnte kaum glauben, wo die Zwölf überall vorkommt.« Lorentz kramte ein paar andere Bücher heraus, aus denen überall bunte Zettelchen schauten.
    »Zwischen dem Heiligen Abend am 24 .Dezember und dem Tag der Heiligen Drei Könige am 6 .Januar liegen zwölf Nächte. Diese werden ›Raunächte‹ oder auch ›Zwölfte‹ genannt. In diesen Nächten steht nach dem Volksglauben das Geisterreich offen, dämonische Wesen und die Seelen Verstorbener erscheinen und halten Umzüge. Schon die Germanen feierten die Zwölften.«
    Lorentz schaute Capelli triumphierend an. »Und wo wir schon bei den alten Germanen sind, rate doch mal, wie viele Götter sie verehrten.«
    »Elf?«
    »Scherzkeks! Die Zwölf findet sich einfach überall. Sogar in den Naturwissenschaften, in der Wirtschaft, der Esoterik, der Politik und dem Alltagsleben. Es ist kaum zu glauben. Die Zwölfen sind so selbstverständlich, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Denn wir sind nicht nur von lauter Zwölfen umgeben, wir bestehen auch aus ihnen.«
    »Das klingt schon viel interessanter als der ganze Götter- und Dichterkram«, sagte Capelli und beugte sich ein wenig nach vorn. »Erzähl!«
    »Es ist nicht zu fassen, aber die gesamte sichtbare Materie ist aus zwölf Elementarbausteinen aufgebaut. Sie wurden nach einem italienischen Physiker, einem gewissen Herrn Enrico Fermi, benannt und heißen deswegen Fermionen. Atome bestehen aus Elektronen, Protonen und Neutronen. Man dachte lange Zeit, dass dies die kleinste Einheit sei. Heute weiß man, dass das nicht stimmt und
eben diese Fermionen die Elementarbausteine unserer Materie sind.«
    »Die Zwölf wird mir langsam unheimlich.«
    »Wem sagst du das. Es scheint fast so, als würde die ganze Welt nur aus Zwölfen bestehen, darauf beruhen oder sich von ihnen ableiten. In der Musik gibt es sogar eine eigene Kompositionsweise, die sich Zwölftonmusik nennt. Und die indogermanische Sprachfamilie, die fast alle europäischen Sprachen umfasst, hat zwölf Stämme. Oder hier, ein Beispiel aus dem Bereich der Astronomie: Der Planet Jupiter braucht genau zwölf Jahre, um die Sonne zu umkreisen.«
    Für Capellis Geschmack war es nun wirklich genug. »Haaalt!«, rief sie. »Ich schaffe heut echt keine Zwölfen mehr. Ich glaube dir, dass Zwölf die ultimative Topzahl ist! Die einzig wahre, grenzüberschreitende, Nationen und Religionen verbindende Überzahl. Die Zahl der Dichter und Denker, der Götter und Esoteriker, der

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