Die Zahlen Der Toten
heute?«
Sie schiebt mir die Tasse hin. »Sie macht gerade Pause. Das arme Kind ist völlig von der Rolle. Der Mord an Amanda setzt ihr furchtbar zu. Haben Sie schon was rausgefunden?«
Ich schüttele den Kopf. »Wo ist sie?«
»Draußen, hinterm Haus. Qualmt wie ein Schlot, schon den ganzen Morgen.«
»Danke.« Ich lasse den Kaffee stehen und gehe um die Theke herum in die Küche. Der Koch blickt mich durch eine Rauchwolke vom offenen Grill an, und ein Junge mit schlimmer Akne, der vor einem riesigen Geschirrspüler steht, hebt den Blick und senkt ihn schnell wieder. Ich entdecke die Hintertür und marschiere hinaus.
Connie Spencer sitzt auf der Treppe. Sie ist sehr dünn, mit schmalen Schultern und schlanken, flinken Händen. Ihre braunen Augen sind mit blauem Eyeliner umrandet, die nicht vorhandenen Wangenknochen rosa gepudert. Das Fieberbläschen im Winkel ihres ungeschminkten Mundes ist nicht zu übersehen. Sie ist in einen Kunstpelzmantel gehüllt und zieht gerade an einer langen braunen Zigarette.
Die Tür schlägt hinter mir zu, sie dreht sich um und sieht mich böse an, einen trotzigen Ausdruck im Gesicht. Diese Taktik kenne ich, gewöhnlich wollen toughe Typen so ihre Nervosität vertuschen. Ich frage mich, warum sie wohl so angespannt ist.
»Ich hab mich schon gewundert, wo Sie bleiben.« Sie blickt auf die Uhr. »Hat ja ganz schön lange gedauert.«
Ihre Haltung missfällt mir sofort. »Warum glauben Sie, dass ich mit Ihnen reden sollte?«
»Weil ich Samstagabend mit Amanda zusammen war und sie jetzt tot ist.«
»Das scheint Sie nicht allzu sehr mitzunehmen.«
Sie berührt mit der Zungenspitze die Fieberblase. »Wahrscheinlich stehe ich noch unter Schock. Amanda war so …
lebendig.
Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
»Samstagabend. Wir sind ausgegangen. Hatten ein paar Drinks.«
»Wo?«
»Im Brass Rail.«
»Auch noch woanders?«
»Nein.«
»Ist dort irgendwas Ungewöhnliches passiert?«
»Was meinen Sie mit ›ungewöhnlich‹?«
»Hat ein Mann zu viel Interesse an ihr gezeigt, hat ihr jemand, den sie nicht kannte, einen Drink spendiert, hat sie mit jemandem gestritten?«
»Nicht dass ich wüsste.« Ihr Lachen ist freudlos. »Ich war stockbesoffen.«
»Ist Ihnen jemand bekannt, der Amanda Schaden zufügen wollte? Hatte sie Feinde?«
Zum ersten Mal habe ich ihre Aufmerksamkeit. Ihre Abwehrhaltung bröckelt, und unter dem abgebrühten Getue scheint die junge Frau durch, die sie wirklich ist. »Genau das verstehe ich nicht«, sagt sie. »Alle mochten Amanda. Sie war … ein netter Mensch, immer gut drauf. Hat viel gelacht, wissen Sie?« Sie verzieht den Mund zu einem Lächeln, das so gar nicht zu einer Einundzwanzigjährigen passt. »Mich mag gewöhnlich keiner.«
Am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie mal ihre Haltung überprüfen sollte, aber ich bin nicht hier, um einer Klugscheißerin auf die Sprünge zu helfen. Ich bin hier, um den Mörder von Amanda Horner zu finden. »Hatte sie einen festen Freund?«
Connie Spencer hebt die Schultern, senkt sie wieder. »Sie ist mal mit Donny Beck gegangen, aber vor ein paar Monaten haben sie Schluss gemacht.«
Ich horche auf. Der Name fällt jetzt schon zum zweiten Mal. »Wie ist die Trennung abgelaufen?«
»Amanda hatte keinen Bock auf den Ich-Tarzan-du-Jane-Scheiß. Sie hat gesagt, was Sache ist, und er hat’s akzeptiert.«
»Erzählen Sie mir von Donny Beck.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Er arbeitet bei Quality Implement. Mag Cocktails und Budweiser und Blondinen mit großen Titten. Sein höchstes Ziel im Leben ist es, den Laden irgendwann mal selbst zu managen. Amanda ist zu clever, um sich auf Dauer mit so einem einzulassen. Sie weiß, dass es im Leben mehr gibt als Kuhscheiße und Korn.«
Mir fällt auf, dass sie von Amanda in der Gegenwart spricht. »Irgendwelche unschönen Trennungen in der Vergangenheit?«
»Ich glaube nicht.«
»Gibt es jemanden, der aus irgendeinem Grund wütend auf sie ist?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Ich bewege mich im Kreis und wir beide wissen das. Eine Windböe fegt ums Haus, mit Schnee im Gepäck. »Um wie viel Uhr haben Sie Amanda zuletzt gesehen?«
Ihre viel zu stark gezupften Augenbrauen kräuseln sich. »Elf Uhr dreißig, vielleicht zwölf.«
»Haben Sie die Bar zusammen verlassen?«
Sie stößt Rauch aus, schüttelt den Kopf. »Wir hatten beide unser Auto dabei. Ich bin nicht gern von anderen abhängig. Wenn ich gehen will
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