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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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reinkommen?«
    »Bin in zehn Minuten da.«
    »Bis gleich.« Ich lege auf und schleudere das Handy auf den Beifahrersitz. Die Uhr am Armaturenbrett zeigt vier an. Die Zeit rast, treibt Spott mit mir. Vierzehn Stunden sind vergangen, seit Amanda Horners Leiche gefunden wurde, und ich weiß nicht mehr als am Anfang.
    Auf der Fahrt zum Polizeirevier verbiete ich mir, an meinen Bruder und unseren Plan für heute Nacht zu denken. Ich weiß wirklich nicht, ob ich hoffen soll, in dem alten Getreidespeicher eine Leiche zu finden – oder besser nicht.

7. Kapitel
    Als John Tomasetti das Büro von Special Agent Supervisor Denny McNinch betrat und Deputy Superintendent Jason Rummel am Fenster stehen sah, war ihm klar, dass es ihm an den Kragen ging. Das letzte Mal hatte er Rummel vor sechs Monaten gesehen, als ein Ermittler des FBI , Field Agent Bryant Gant, in Toledo bei einer Hausdurchsuchung erschossen worden war. Es hieß, der stellvertretende Dienststellenleiter würde sich nur aus seinem Eckbüro herausbemühen, wenn es um Einstellungen, Rauswürfe oder Todesfälle ging. John musste nicht lange rätseln, auf welcher der drei Varianten sein persönliches Erscheinen hier beruhte.
    Am Konferenztisch saß bereits die Leiterin der Personalabteilung, Ruth Bogart, wie immer in einem Kostüm von Kasper und dem obligatorischen Starbucks-Becher in Reichweite. Sie blätterte in einer braunen Akte, die dick angeschwollen war von zu vielen Formularen und zerfleddert von zu vielen Bürokratenfingern, die darin gewühlt hatten. Und diese Akte, das war ihm klar, trug garantiert Johns Namen.
    Eigentlich müsste er Angst um seinen Job haben oder zumindest fürchten, sein Gehalt und seine Krankenversicherung zu verlieren. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er möglicherweise dem Ende seiner Polizeikarriere, die er sich zwanzig Jahre lang aufgebaut hatte, entgegensah.
    Doch das war John egal, genau genommen ging ihm derzeit so ziemlich alles am Arsch vorbei. Dass das selbstzerstörerisch war, wusste er. Aber im Moment ärgerte ihn bloß, dass man ihn von seinem Cranberry-Muffin und Kaffee weggeholt hatte.
    »Sie wollten mich sprechen?«, sagte er in die Runde.
    »Nimm Platz.« Denny McNinch zeigte auf einen der vier schicken Lederstühle am Tisch. Er war ein massiger Mann, trug immer zu kleine Anzüge und zog nie das Jackett aus, wahrscheinlich weil er unter den Armen triefte. John fragte sich, ob er ahnte, dass ihn alle FBI -Agenten und Verwaltungsangestellte hier hinter seinem Rücken Sumpfarsch nannten.
    Als John vor zwei Jahren hierher ins Ohio Bureau of Criminal Identification and Investigation versetzt wurde, war Denny noch Field Agent gewesen. Er hatte Gewichte gestemmt und lief eine Meile mit fünfzig Pfund Gepäck auf dem Rücken in fünf Minuten. Er war ein ziemlich guter Schütze und hatte den schwarzen Gürtel in Karate – also ein echt tougher Kerl, mit dem sich keiner anzulegen wagte. Doch dann war er die politische Leiter hochgeklettert und auf diesem beschwerlichen Weg vom Vorgesetzten zum bloßen Amtsträger mutiert. Er hörte mit dem Schießen auf, dem Laufen. Durch die viele Schreibtischarbeit wurde aus dem muskulösen Mann ein schwabbeliger, und der Respekt der Kollegen verwandelte sich in gnädige Geringschätzung. Doch John empfand kein Mitleid mit Denny; es war dessen eigene Entscheidung gewesen. Außerdem gab es schlimmere Schicksale.
    Rummel hingegen war von Anfang an ein Bürohengst gewesen. Er war klein, von schmächtiger Statur und hatte einen Schnauzer, der an Hitler erinnerte, was schon einigen Field Agents zu unpassender Zeit ein Lächeln entlockt hatte – in der Regel ihr letztes als Polizist. Rummel kompensierte sein körperliches Defizit mit Kotzbrockenverhalten. Als Vorgesetzter hatte er echt soziopathische Züge. Der Mann mit der Axt. Ein Raubtier mit Reißzähnen und scharfen Klauen, die er gern benutzte. Mit fünfzig spielte er bereits in der obersten Etage des BCI mit und hatte bloß aus Spaß an der Freude so mancher Karriere ein Ende gesetzt.
    Als John einen Stuhl unterm Tisch hervorzog, ging er davon aus, dass auch er jetzt die Klauen zu spüren bekam. »Was gibt’s zu feiern?«, fragte er. »Hat jemand Geburtstag?«
    McNinch setzte sich schweigend und ohne ihn anzusehen auf den Stuhl neben ihn. Kein gutes Zeichen.
    »Spiel nicht den Klugscheißer«, murmelte er.
    Rummel blieb stehen. Der kleine Mann, der gern groß wäre. Er ging zum Tisch und sah zu John hinab. »Agent Tomasetti, Sie

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