Die Zarentochter
König denkt, dass ich ihn besonders hofieren werde, hat er sich getäuscht. Es mag ihm gelungen sein, jahrelang Pauline und Karl zu verschrecken, aber eine Romanow lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Ich –« Sie brach ab, als es an ihrer Tür klopfte.
»Egal wer es ist, sag, ich würde ruhen«, flüsterte Olly Anna zu. Ihr Bedarf an Gesprächen war für den heutigen Tag gedeckt. Sie wollte allein sein und über die seltsame Familie nachdenken, in die sie einheiraten würde.
»Ein Laufbursche. Er sagt, im Foyer sei ein Blumenstrauß für dich abgegeben worden«, bemerkte Anna, als sie von der Tür zurückkam.
»Ja und? Warum bringt er ihn nicht hoch?«
Die Hofdame zuckte mit den Schultern. »Er meinte, es wäre unbedingt notwendig, dass du nach unten kommst.«
»Wie bitte? Na, ich ahne schon, wer sich so was ausdenkt«, sagte Olly. »Wahrscheinlich tut Wilhelm sein Verhalten von vorhin bereits leid. Nun will er mich mit einem besonders großen Bukett beeindrucken. Und damit die ganze Welt mitbekommt, wie großzügig er ist, soll ich die Blumen im Foyer in Empfang nehmen. Bitte, dann tue ich ihm den Gefallen eben!« Missmutig hangelte sie erneut nach ihren Stiefeln. Grand Folie, der einen Spaziergang witterte, wedelte freudig mit dem Schwanz.
»Warte,ich komme mit. Wenn der Strauß wirklich so groß ist, wirst du ihn kaum allein tragen können«, sagte Anna.
Olly schnappte ihr Schultertuch und die Hundeleine. »Woher willst du wissen, dass ich ihn überhaupt annehme? Aber wenn ich schon einmal unten bin, gehe ich gleich mit Grand Folie spazieren. Ein bisschen frische Luft wird mir guttun.« Und ein bisschen Ruhe, fügte Olly im Geist hinzu.
»Allein? Aber Kind, das geht doch nicht!«, rief die Hofdame, doch da hatte Olly die Tür schon hinter sich zugezogen.
»Du?« Unter Ollys Füßen begann der Boden der Empfangshalle zu schwanken. Der blaugemusterte Teppich, die Kronleuchter, die Hotelgäste um sie herum – alles verschwamm vor ihren Augen. Ein Gefühl der Unwirklichkeit überfiel sie, sie atmete tief durch, um gegen den Schwindel in ihrem Kopf anzukämpfen.
Alexander warf den riesigen Blumenstrauß, hinter dem er sich versteckt hatte, einem Gepäckjungen zu, der ihn im letzten Moment auffing. Dann ergriff er Ollys Hand.
»Verzeih meine Scharade, aber wie hätte ich denn sonst … Olly, warte, du musst mit mir reden, ich –«
»Gar nichts muss ich!«, zischte sie. »Lass mich los, oder ich fange auf der Stelle an zu schreien.« Sie lächelte dem Empfangschef, der ihnen einen fragenden Blick zuwarf, gezwungen zu.
Endlich ließ Alexander sie los. »Aber bitte lauf nicht weg. Bitte!«
»Fünf Minuten. Und wehe, du fasst mich noch einmal an«, flüsterte sie wütend, während sie ihrem schwanzwedelnden Hund nach draußen folgte. Ihr Herz raste, sie war zu keinem klaren Gedanken fähig. Alexander war hier. Was hatte das zu bedeuten?
Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Das Kopfsteinpflaster glänzte schwarz und stand in krassem Kontrast zu den gelben und weißen Häuserfronten. Obwohl es schon früher Abend war, war ungewöhnlich viel los auf den Straßen: Passanten, die einen Schaufensterbummel machten, Hausfrauen, die ihre Einkäufe noch nicht erledigt hatten, Fremde, die sich die Barockstadt anschauen wollten, Handwerker, die Waren auslieferten. Immer dichter wurde das Gedränge,so dass Olly nichts anderes übrigblieb, als Grand Folie auf den Arm zu nehmen, damit er nicht getreten wurde.
»Halte dich bei mir fest, sonst gehst du noch verloren.« Vorsichtig hielt Alexander Olly seine Hand hin. Sie fühlte sich warm und stark an. Als kenne er Salzburg wie seine Westentasche, führte er sie auf kürzestem Weg aus den engen Gassen hinaus. Nach wenigen Augenblicken landeten sie auf der Promenade, die sich entlang der Salzach schlängelte.
»Hier haben wir ein wenig Ruhe«, sagte Alexander und zeigte auf den sprudelnden und gurgelnden Fluss. »Wie in Bad Ems, findest du nicht?«
Bad Ems. Warum musste er damit anfangen? Was versprach er sich davon? Olly ließ Grand Folie auf den Boden, wo er sofort ein paar Tauben hinterherjagte. Sie richtete sich auf und funkelte Alexander an.
»Fünf Minuten, mehr nicht! Und bevor du anfängst, sag mir nur eines: Woher weißt du eigentlich, dass wir hier sind?«
»Cerise hat es mir verraten. Da du auf meine Briefe nicht geantwortet hast, musste ich einfach hierherkommen, Liebste.«
»Ich bin nicht deine Liebste, was fällt dir ein!« Sie war so
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