Die Zarentochter
wütend! Auf sich, weil sie nicht auf der Stelle kehrtgemacht und wieder auf ihr Zimmer gegangen war. Auf Alexander, der es wagte, ihr wie ein Wegelagerer aufzulauern. Auf das seltsame Gefühl in ihrem Bauch, das sie noch gut von früher kannte.
»Olly, ich weiß, zwischen uns ist einiges schiefgelaufen. Keine Sorge, ich werde nicht die alten Geschichten aufwärmen«, winkte er eilig ab, als er ihre düstere Miene sah. »Aber du glaubst gar nicht, wie leid mir alles tut.«
»Dir tut es leid?«, fuhr sie ihn an. »Leid tut es einem, wenn man jemandem auf den Fuß tritt und nicht –« Sie verstummte. Wenn man jemandem das Herz bricht , hatte sie sagen wollen. »Ach Alex ander, was soll das alles?«, fragte sie müde. »Warum lässt du mich nicht endlich in Ruhe?«
»Dich in Ruhe lassen und zusehen, wie du den größten Fehler deines Lebens machst? Du darfst Karl nicht heiraten!«, brach es aus ihm heraus. »Du liebst ihn doch gar nicht.«
Ollyglaubte nicht richtig zu hören. »Was fällt dir ein? Natürlich liebe ich Karl –«
»Hör mir zu«, fiel Alexander ihr ins Wort. Er nahm ihre beiden Hände in die seinen, seine Augen ließen sie nicht mehr los.
Schau mich nicht so an, das darfst du nicht !, wollte Olly am liebsten sagen. Nur mit Mühe wandte sie ihren Blick ab.
»Bestimmt haben dein Vater und Sascha heftig auf dich eingeredet, diesen Württemberger zu heiraten. Ich höre im Geist schon ihre Reden: ›Es gilt, die Verbindung zwischen Russland und Württemberg zu stärken!‹ und ›Russlands Macht wird sich dank dir bis weit in den Westen ausdehnen!‹ « Der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören. In normalem Ton fuhr er fort: »Aber es kann doch nicht angehen, dass du wegen Russlands Machtstreben dein Glück hintanstellst.«
»Wie kommst du darauf, dass ich das tue? Karl ist mein Glück! Und was fällt dir ein, so über meinen Vater und Sascha zu reden? Beiden geht mein Glück über alles, wer etwas anderes behauptet, ist ein Lügner.« Olly bebte vor Wut. Wie einen Sohn hatte der Zar Alexander einst aufgenommen und Sascha ihn wie einen Bruder ins Herz geschlossen – Undank war der Welten Lohn!
Verzweifelt und zornig zugleich stampfte Alexander mit dem rechten Fuß auf den Boden. »Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Ich kenne deine Loyalität gegenüber deiner Familie und finde sie ehrenwert«, sagte er gequält. »Aber ich frage dich noch einmal: Was bedeuten Macht und Reichtum, wenn es um die große Liebe geht? Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, gehört mein Herz dir. Ich liebe dich noch immer. Dich und nur dich allein!«
Olly verdrehte im Geiste die Augen. Liebe. Schöne Worte. Wie die Zeilen eines Gedichts. Wie Luftblasen.
»Du liebst nur mich, aha. Das ist also der Grund, warum du in ganz St. Petersburg als Frauenheld verschrien bist«, sagte sie bitter. Für wie dumm hielt Alexander sie eigentlich? Glaubte er, sie wisse nicht Bescheid? Fast jede der jüngeren Hofdamen wusste süffisante Geschichten darüber zu erzählen, mit welchen Damen er auf diversen Bällen gesichtet worden war: angefangen bei der blutjungen GräfinSchuwalow über Maria Stolypin bis hin zu allen möglichen Schauspielerinnen. Selbst der Name von Ollys Cousine Luise war gefallen. Was Olly jedoch am meisten schmerzte: Auch mit Julia von Haucke war Alexander mehrmals gesehen worden.
»Du solltest nicht alles glauben, was man dir zuträgt«, murmelte er mürrisch. »Olly, noch ist es nicht zu spät! Wir zwei können glücklich miteinander werden. Und wenn es den größten Skandal erzeugt, den St. Petersburg je gesehen hat – komm mit mir. Wir brauchen weder Geld noch Ruhm, solange wir uns haben. Vielleicht finden wir Aufnahme bei meinem Bruder in Hessen. Oder ich werde Offizier in der österreichischen Armee. Oder bei den Italienern. Ein mutiger Soldat wird überall gut besoldet! An meiner Seite wirst du gewiss nicht hungern müssen, das verspreche ich dir.«
»Ich soll mich heimlich davonschleichen und dir in eine ungewisse Zukunft folgen? Ich soll meine Eltern im Stich lassen? Ich soll all die Menschen enttäuschen, die mir in den schweren Zeiten zur Seite gestanden haben?« Olly wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Das Gespräch war so aberwitzig, dass sie sich fragte, ob sie nicht in einem verrückten Traum gelandet war. Das war wieder einmal typisch, Alexander dachte nur an sich.
»Warum schaust du mich so böse an? Kannst du stattdessen nicht einfach auf die Stimme deines
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