Die Zarin (German Edition)
schon schwedisch.«
»Fjodor Matwejew …«, begann ich und nahm eine seiner rauhen Hände in meine. »Ich möchte, daß du dem Zaren nicht von der Seite weichst. Ich habe Angst um sein Leben. Er stürzt sich immer mitten hinein in das ärgste Getümmel.«
Apraxin sah mich an und lachte. »Täte er das nicht, wäre er nicht unser batjuschka Zar. Aber ich nehme gerne jede Kugel in meine Brust, die für ihn bestimmt ist!«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und ein kleiner, mit Schnee bedeckter Hund tollte in das Zimmer. Ihm folgte mit raschen Schritten ein junges Mädchen. Sie hatte meine Anwesenheit nicht bemerkt und lief direkt auf Apraxin zu, dem kleinen Hund nach, der sich mit scharfen Zähnen über die Gamaschen des Admirals hermachte. »Er ist so ungezogen, Fedjuschka !« rief das Mädchen in einem weichen Russisch. Sie klatschte in die Hände und lachte: »In der Stadt und auf dem Fluß hat er alle Damen in die Hacken gezwickt! Dein nächstes Geschenk an mich muß besser erzogen sein!« Sie fing den Hund ein und bedeckte ihn mit Küssen. Nun erst sah sie mich und sah mich neugierig an. Apraxins Gesicht war von tiefer Röte überzogen. Ich hatte noch nie gehört, daß jemand den erfolgreichen Soldaten Fedjuschka nannte. Es erheiterte mich, und ich gönnte ihm sein kleines Geheimnis. Er zog das Mädchen zu sich. »Anna, mach’ einen Knicks. Dies ist die treue Gefährtin unseres Zaren. Ich habe dir von ihr erzählt«, wies er sie an.
Sie sank in ihrem einfachen Kleid aus taubenblauer Wolle anmutig zu Boden und sah mich durch ihre langen Wimpern neugierig an. Ihr Haar war in einem Zopf über den Kopf geflochten, doch die meisten der dunkelblonden Strähnen hingen daraus hervor. Ihre kleine, nach oben gebogene Nase war mit Sommersprossen bedeckt, und ihre Augenbrauen und die Wimpern um ihre erstaunlich hellen Augen waren tiefschwarz. »Anna Kramer, Euer Gnaden«, murmelte sie atemlos vor Aufregung. Wie alt mochte sie wohl sein? Vielleicht gerade fünfzehn Jahre alt. Vierzehn Jahre jünger als ich! Ihr Körper schien mir so biegsam wie ein junger Zweig zu sein. Ich selber mußte unterdessen zwischen meinen Schwangerschaften nicht einmal mehr Kleider wechseln! Aber ich liebte den Wein und das gute Essen zu sehr, um mich zurückzuhalten.
Fjodor Matwejew betrachtete das junge Mädchen mild und erklärte mir: »Anna stammt aus Narwa. Scheremetjew hat sie in der ausgebrannten Stadt gefunden. Sie war noch ein kleines Mädchen, aber ich habe sie in seinem Zelt entdeckt. Da hat er sie mir geschenkt.« Nun war es Anna, deren Gesicht von einer tiefen Röte überzogen wurde. »Sie ist immer bei mir. Hast du sie noch nie gesehen?« fragte er und musterte mich. Anna erhob sich aus ihrem Knicks und bewegte sich anmutig um uns. Wie gut kannte man seine Freunde? »Weiß der Zar von ihr?« fragte ich ihn.
»Natürlich«, sagte Fjodor und sah ausdruckslos in die Flammen. Ich seufzte innerlich. Natürlich. Peter wußte von jedem hübschen Mädchen in zwei Werst Umkreis. Anna kam wieder zu uns an das Feuer. Ich versuchte, sie mir in den Armen des Zaren vorzustellen. Sie sah aus, als könnte sie darin zerbrechen. Aber ich vermochte keinen Zorn auf sie zu empfinden. Sie war nur eine von so vielen. Anna knickste wieder. »Euer Gnaden, erlaubt, daß ich mich zurückziehe«, sagte sie mit leiser Stimme. Ich nickte und streckte abwesend meine Hand aus, die sie scheu ergriff und sanft küßte.
Als sie gegangen war, nahm Apraxin unser Gespräch wieder auf, als seien wir nicht unterbrochen worden. »Ja, wir stehen kurz vor einer großen Schlacht. Und ich habe Angst. Zum ersten Mal will ich wirklich leben.«
Er konnte mir bei diesen Worten nicht in die Augen sehen.
Aber es war keine Schlacht, die die Schweden in die Knie zwang, sondern der russische Winter selbst. Karl flüchtete sich mit seinen Truppen in die Ruinen von Haydach. Er hoffte dort Schutz vor der Kälte zu finden, die die Krähen im Flug tot vom Himmel fallen ließ. Seine Männer brachen mitten im Schritt vor Hunger und Frost tot zusammen. Ihre Pferde hatten sie bereits aufgegessen und schleppten ihre Sättel auf den Schultern, wobei sie vor Hunger am Leder saugten. Des Nachts schlichen Kosaken durch die Ruinen der Dörfer und schnitten den Wehrlosen im Schlaf die Kehlen durch. Sie umwickelten ihre vor Kälte steifen Hände mit Lumpen. Es gab kein Mittel mehr, um Kranke und Verwundete zu betäuben: Man nahm ihnen bei vollem Bewußtsein tote, abgefrorene
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