Die Zarin (German Edition)
Mann mit der Hakennase und den welligen Haaren, die ihm eitel bis über die Schultern reichten, nicht besonders leiden. Aber wenigstens beklagte er sich nicht wie die anderen Handwerker ohne Unterlaß über die Umstände in Sankt Petersburg. Denn was bekamen wir auf den Baustellen sonst nicht alles zu hören!
»Wie soll ich bitte in dieser Hundehütte wohnen und arbeiten? Mein Geist braucht Raum!« forderte der deutsche Maler.
»Das Essen ist widerlich! Meinen Säuen tät’ ich das nicht zumuten!« rief der französische Gartenarchitekt.
»Meine Lieferung ist noch immer vom Zoll im Hafen blockiert! Wie soll ich ohne Meißel und ohne Marmor Statuen hauen?« fragte der italienische Bildhauer.
»Die letzten Tölpel werden einem hier zur Seite gestellt! Was ich mit den Händen aufbaue, reißen sie mit dem Arsch wieder ein!« klagte der Holländer, der die Brücken über die Kanäle der Fontanka und der Moika bauen sollte.
Nein, Domenico Trezzini klagte nicht, sondern baute in den kommenden Jahren ohne Rast oder Ruhe: Die Sankt-Isaacs-Kirche, Paläste für die Minister, die Befestigungen von Kronstadt, das Kloster des heiligen Alexander Newski, den Senat, und er entwarf Pläne für die Kais und hölzerne Brücken über die Kanäle. Wo sein Werk endete, setzten dann andere Meister an: Der stolze Alex ander Le Blond aus Frankreich, der streitsüchtige Deutsche Schädel und der trockene Härbel aus einer Stadt namens Basel, der Kaviar haßte und immer nur geschmolzenen Käse mit Brot essen wollte.
Die ersten paar hundert Adelsfamilien aus Moskau erhielten den Befehl, nach Sankt Petersburg zu ziehen. Kein Vorwand, weder hohes Alter noch schwere Krankheit konnte sie davor bewahren. Der alte Prinz Tscherkasski, der damals noch vor Menschikow der reichste Mann Rußlands war, ließ sich wegen des Wassers in seinen Beinen entschuldigen. Peter sandte ihm ohne Verzug seine Garde in seinen Palast nahe dem Kreml: Die Männer schleiften den ehrwürdigen Mann an den Haaren aus dem Haus. Unter Spott und Gelächter ließen sie ihn splitterfasernackt auf dem Eis der Moskwa sitzen, bis sein Haushalt eilig zu packen anfing. Als dann noch ein Feuer einen Großteil von Moskau zerstörte, klatschte Peter vor Freude in die Hände. Er verbot den Aufbau der abgebrannten Häuser. Die Tausenden von nun heimatlosen Familien brauchten ein Heim? Nun, im Marschland um Sankt Petersburg war doch Platz für alle!
Während eines Abendessens hörte ich den Außenminister Admiral Golowin zu Schafirow sagen: »Weißt du, was Newa auf finnisch heißt?«
Schafirow schüttelte den Kopf.
»Dreck!« sagte Golowin nur und spuckte aus.
Es war ein klarer Morgen im Oktober, als die Garde das Eis auf der Newa für fest genug erklärt hatte, um den Fluß in einem Schlitten zu überqueren. Der Himmel war an jenem Morgen von einem gewachsten Blau: Nur einige hung rige Krähen zogen durch die Luft wie zögerliche Schriftzeichen aus schwarzer, klumpiger Tinte. Die Umrisse der Peter-und-Pauls-Festung hoben sich unwirklich scharf von ihrem Hintergrund ab. Die Bäume auf beiden Seiten der Newa waren von Reif bedeckt. Ihre Zweige sahen aus wie aus Silber geschlagen. Die kalte Luft stieg einem schmerzhaft durch die Nase in das Hirn: Ich saß mit Anna Tolstoja und Darja Menschikowa, die wieder in gesegneten Umständen war, in einem Schlitten. Vor unser Gefährt waren acht zahme Renkühe gespannt. Sie neigten ihre zarten Hälse unter dem Gewicht ihres mit Gold verbrämten Zaumzeuges. Von beiden Seiten des Schlittens hingen bunte Wimpel herunter und schleiften hinter uns im Schnee. Peter dagegen hatte einen schlichten Schlitten für sich: Er stand aufrecht mit gespreizten Beinen auf dem Bock und hielt die Zügel fest in seinen unruhigen kleinen Händen. Hinter ihm war der ganze Hof in buntgeschmückten Schlitten versammelt, vor die meist kleine Pferde, aber zu unserem Vergnügen auch Schweine und Hunde gespannt waren. Peter sah gespannt hinauf zur Trubetzkoi-Bastion der Festung und hob seinen Arm. Ein Kanonenschuß durchschnitt die kalte Luft, sein Arm fiel mit dem Schuß und er zog pfeifend die Peitsche über den Rücken seiner Pferde. Noch ein zweiter Schuß wurde abgegeben. »Die Newa ist frei!« rief er, und der Fahrtwind riß ihm die Worte vom Mund.
»Los!« schrie auch ich und fuhr mit meinem Birkenzweig, an dem Glöckchen hingen, über den Rücken der Tiere. Darja und Anna schrien vor Vergnügen und schwenkten bunte Tücher, die sie in den Händen hielten.
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