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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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    Peters Stadt wuchs nur langsam: Der Bau litt sowohl unter den Wirren des Krieges als auch am dumpfen Widerstand der Natur und der stummen Verzweiflung der Menschen, denen Peter den Umzug nach Sankt Petersburg befahl. War die Stadt mehr als eine leere Schale, die wie ein steuerloses Boot auf den Strudeln von Peters Traum dahintanzte? Tatsächlich konnten die verstreuten Gebäude um die graue Newa wirken wie eine Auster ohne Perle. Außer der Peter-und-Pauls-Festung mit ihren Bastionen und der Kirche darin standen nun die Kirche der Dreieinigkeit und eine gostiny dwor , in welchen der Markt von Nyenschantz umgezogen war. Zudem hatte Peter auch eine lutherische Kirche und ein Gasthaus errichten lassen. Beide sollten die Matrosen der fremden Schiffe zufriedenstellen, die vor den Kais der Newa vor Anker lagen: Denn kein Schiff durfte mehr anlegen, wenn es nicht mindestens dreißig Quader Stein geladen hatte. Peter benötigte den Stein dringend in Sankt Petersburg, und er verbot den Bau mit Stein im restlichen Reich. Aber Stein und Werkzeuge in das marschige Land zu bringen, konnte auch im Sommer schwierig sein. Es fehlte dann an allem: Die Zwangsarbeiter mußten den Matsch und die tonige Erde in ihren Schürzen und Händen wegschleppen, weil sie keine ordentlichen Eimer und Kellen hatten. Der Westwind konnte so heftig wehen, daß die Newa nicht dagegen ankam und gegen ihren eigenen Strom aus der Bucht von Finnland herausfloß. Das Wasser schwoll nach hinten weg und schlug über den frisch angelegten Befestigungen und Kais der jungen Stadt zusammen. Im Frühjahr, zur Schmelze, brachen die Eisschollen mit ungeheurer Gewalt auf und rissen uns mit ihrem krachenden Geräusch aus dem erschöpften Schlaf der noch dunklen Nächte. Der Fluß überflutete dann wiederum die Wege und die jungen Bauten. Die Schneeschmelze konnte die Stadt vom Rest des Landes abschneiden.
    Peter aber sah nur gleichmütig zu, wie ich in einem der ersten Sommer noch in unserem kleinen Holzhaus bis zu den Knien im schlammigen Newawasser watete.
    »Es steht fast fünfzehn Werschok hoch, ich habe heute morgen gemessen«, stellte er vergnügt fest. Er saß dabei auf der Fensterbank und schlenkerte mit den Füßen. Dorthin hatte er sich und seine wenigen Besitztümer von Wert vor dem Wasser gerettet. Wir konnten uns bei dem Anblick der auf den Fluten dahintreibenden Besitzungen und rudernden Menschen vor Lachen ausschütten. Er selber brachte an der Peter-und-Pauls-Festung eine Markierung an, um zu zeigen, wie hoch das Wasser der Newa gekommen war. Alles, was zählte, war, daß seine Stadt noch stand.
    Nach der Flut hing der Gestank von Moder für Wochen über der Stadt. Der Schaden den die Newa angerichtet hatte, konnte alle Mühen der vergangenen Monate zunichte machen. Die Zwangsarbeiter und auch die gedungenen Handwerker hatten sofort wieder ans Werk zu gehen.
    Sein Geheimdienst unter der Leitung von Antonio Devier fing jedoch einen Brief des französischen Gesandten Campredon nach Paris ab: »Diese Stadt ist nicht auf Marschland gebaut, sondern auf den Knochen der Abertausenden von Toten, die ihr Bau bereits gefordert hat. Die Stadt ist nicht besser als ein Leichenhaus.«
    Bei seinem Morgenempfang schlug Peter ihn mit der Knute ins Gesicht und zerriß den Brief vor seinen Augen. »Eine Stadt zu bauen, ist wie Krieg zu führen! Beides geht nicht, ohne Menschenleben zu opfern!« schrie er und trat auch noch nach dem unglücklichen Mann. Als ich mit der Hilfe von Pawel Jaguschinski und Fjodor Romodanowski versuchte, ihn zu beruhigen, zog er sein Schwert und verwundete beide Männer an der Wange und am Ohr.
    Campredon hielt sich die von dem Knutenschlag blutende Nase und beklagte sich hinterher bei mir: »Für den Umzug habe ich vierundzwanzig Tage gebraucht! Ganze zwölfhundert Rubel mußte ich aus meiner eigenen Schatulle ausgeben! Ich habe mich auf verlorenen Landstraßen verlaufen! Acht meiner Pferde sind ersoffen, und die Hälfte meines Gepäcks ging verloren! Und nun dies. Mon dieu, mon dieu, womit habe ich das nur verdient!«
    Er tat mir leid. »Beklagen Sie sich bei den Seiten ihres Tagebuches, Monsieur Campredon!« riet ich ihm. Er sah mich einen Augenblick lang an wie ein Schwein, das im Frühjahr eine Kartoffel im Feld findet. Dann verneigte er sich. »Madame«, sagte er nur. »Meine Verehrung.«
     
    Peter aber fand eine verwandte Seele in dem italienischen Architekten Domenico Trezzini. Ich mochte den großen, dunklen

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