Die Zarin (German Edition)
brannte auf Peters Befehl, denn trotz des schwülen, frühsommerlichen Wetters wollten ihm seine Knochen nicht so recht warm werden. Blumentrost mußte dort in dem Sessel einen Augenblick geschlafen haben, denn seine krausen Haare standen in alle Richtungen, und sein Halstuch war verrutscht. Er sah aus wie ein verwirrter alter Vogel.
»Euer Gnaden …«, faßte er sich rasch, schob seine runden Augengläser zurecht und erhob sich. Ich lächelte ihn an und sagte: »Nun, Blumentrost, wann geht es unserem Kranken denn gut genug, daß er endlich wieder auf sein Pferd kann?«
Er schüttelte den Kopf und sah mich traurig an. Mein Lächeln gefror. »Was ist es?« fragte ich sofort. »Unangenehme Nachrichten soll man nicht für sich behalten, Blumentrost. Sie sind leichter zu ertragen, wenn man sie mit anderen teilt.«
Blumentrost kaute an den langen Enden seine Schnurrbartes. »Schwierig, Euer Gnaden, schwierig, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Er klopfte mit der Hand auf den Sessel, der neben dem seinen vor dem Feuer stand. Ich ließ mich neben ihm nieder. Die Wärme der Flammen kroch unter meinen Rock und ließ meine Beine prickeln. »Was ist es?« wiederholte ich.
»Seine Majestät ist krank. Er leidet an … wie soll ich es sagen, ohne Euer Gnaden zu verletzen? Er leidet an einer venerischen Krankheit.« Er bog unruhig seine Finger durch. Seine Gelenke knackten.
»An einer venerischen Krankheit?« Ich wiederholte das Wort vorsichtig. »Du mußt schon deutlich sprechen, Blumentrost. Ich bin ein Bauernmädchen, und die Segnungen der lateinischen Sprache blieben mir verschlossen«, antwortete ich. Blumentrost seufzte. »Also gut, wenn ich so deutlich werden muß: Der Zar hat eine Geschlechtskrankheit. Ich habe versucht, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu behandeln, aber es wird nicht besser.«
»Wie zeigt sich die Krankheit denn?« fragte ich erschrocken.
»Nun, Brennen beim Wasserlassen, Blut in den Exkrementen, Eiter, der …« Ich unterbrach ihn: »Aber, Blumentrost – hat seine Majestät sich bei mir angesteckt? Bin ich schuld am Fieber des Zaren?«
Der deutsche Arzt lächelte bitter. »Nein, Euer Gnaden. Als ich Euch nach der letzten Geburt untersucht habe, wart Ihr noch gesund. Stark wie ein Roß, es ist ein Wunder.« Er schüttelte den Kopf. »Er hat sich bei einer seiner …, nun sagen wir, der Zar hat sich bei jemand anderem angesteckt. Es handelt sich dabei um eine gewisse Jewdokija Tschernikowa.«
Ich hob den Kopf. »Jewdokija Tschernikowa? Aber sie gehört meinem Staat an, als eine meiner damy. Sie erwartet ein Kind vom Zaren«, fügte ich ohne Bitterkeit hinzu. Blumentrost sah mich betreten an. Er schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Sie hat eine Tochter geboren, die der Zar ihr wegnehmen ließ. Dann hat er die Frau peitschen lassen, als Strafe für die Krankheit, die sie ihm gegeben hat. Mittlerweile sind sie, ihr Mann und ihre sieben Kinder nach Sibirien verbannt worden.«
Mir lief ein Schauer über den Rücken, und ich schüttelte nur vor Staunen den Kopf. Plötzlich kam mir ein Gedanke. »Wie lange ist der Zar schon krank? Kann sich dies auf unsere Kinder auswirken? Kann er geheilt werden?« fragte ich.
Blumentrost sah mich ruhig an. »Ich weiß es nicht, Euer Gnaden, ich weiß es nicht. Es liegt in Gottes Hand. Geheilt kann er nicht werden. Man kann den Lauf der Krankheit nur verlangsamen, mehr nicht. Und was die Kinder anbelangt …«
»Ja?« fragte ich gespannt. Er sah wieder auf seine Hände. »Sofern sie ausgetragen werden können, kann es ein Wunder sein, wenn sie stark und lebensfähig sind. Aber man soll nicht aufhören, auf Wunder zu hoffen!« fügte er rasch hinzu.
Ich stand auf und trat wieder an das Fenster. Der Himmel wölbte sich weit über das Asowsche Meer. Einige Sturmwolken ballten sich dunkel und drohend zusammen. Ich sah kleine Boote, die die Segel einholten, damit diese im aufkommenden Wind nicht zerfetzt wurden. Die Möwen ließen sich vom starken Ostwind höher tragen. Ihre Schreie zerrissen die Luft und dröhnten hundertfach in meinen Ohren wieder. Seit dem späten Oster-
fest in Moskau wußte ich, daß ich wieder in gesegneten Umständen war.
Es war meine siebte Schwangerschaft. Ich wollte, ich mußte dem Zaren einen gesunden Sohn gebären! Es konnte meine letzte Möglichkeit
sein!
Hinter mir scharrte Blumentrost mit seinen Füßen. »Euer Gnaden …«
Ich winkte nur mit der Hand, ohne mich nach ihm umzudrehen. Er verstand und zog sich zurück. Niemand
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