Die Zarin (German Edition)
schüttelten ihre Glieder wie nach einem langen Ritt und schlangen die Zügel ihrer Pferde um herabhängende Äste. Gegen vier Männer konnten wir uns nicht wehren. Ich bekam Angst. Der erste von ihnen schien sich an den Abstieg zu machen.
Er sah mich einen Augenblick an. Ich hörte, daß Christina im Wasser leise zu weinen begann. Das machte mich wütend, und der Zorn gab mir neue Kraft und Mut. Noch einmal herrschte ich ihn an: »Mach’, daß du hier wegkommst, Russe!«
Er tat noch einen kleinen Schritt, zögerte dann und ließ schließlich seine Begleiter durch ein Zeichen seiner Hand verharren. Plötzlich lachte er auf. Sein Zahnfleisch war rot von Kautabak. »Bei Gott, du machst mir Spaß, Mädchen. Wir werden uns wiedersehen, und dann wirst du netter sein! Das verspreche ich dir!«
Er streckte eine seiner Hände nach mir aus, so, als wollte er meine Haare berühren. Christina schrie auf. Ich spuckte ihm vor die Füße. Sein Gesicht wurde hart und drohend. »Warte nur«, drohte er. »Martha, hm? So hat sie dich doch genannt, die Kleine im Wasser? Ist das dein Name?«
Ich biß mir auf die Lippen und antwortete nicht.
Er drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort die Böschung hinauf zu seinen Männern. Erst, als er die Pferde vor seinem Karren mit einem Schnalzen der Zunge antrieb, ließ ich den Stein aus meinen Fingern gleiten. Meine Knie wurden mir weich, und ich ließ mich in den grauen Sand fallen. Ich zitterte am ganzen Körper. Das ratternde Geräusch der Räder auf der steinigen Straße und das trockene Klappern der Pferdehufe entfernten sich langsam.
Christina kam aus dem Wasser gelaufen und schlang die Arme um mich. Sie weinte Rotz und Wasser, und wir hielten uns einen Augenblick lang fest umschlungen.
Dann sah sie mich an und streichelte meine Haare. »Mein Gott, du bist so mutig, Martha – ich hätte das nie gewagt! Ihn mit dem lächerlichen, kleinen Stein zu bedrohen!«
Ich sah auf den Stein neben mir. Er sah nun tatsächlich sehr klein und sehr lächerlich aus.
»Meinst du, wir haben von ihm etwas zu fürchten?« flüsterte sie dann. Ich schluckte. Er hatte nach dem Kloster gefragt, dem wir angehörten: Unsere isba , unser Land, das Hemd auf meiner Haut und wir selber auch. Denn es war klar, daß mein Vater seine und unsere Abgabe, den obrok , bis an das Ende seiner Tage nicht zurückzahlen konnte. Ich verjagte den Gedanken.
»Unsinn. Den Fettsack sehen wir nie wieder! Hoffentlich fällt er vom Kutschbock und bricht sich den Hals.« Ich versuchte zu lachen. Christina sah mich ernst an und nickte dann. Sehr überzeugt wirkte sie jedoch nicht.
Eine Wolke zog vor die Sonne. Das erste zarte Blau der Dämmerung verschleierte das Licht des Tages. Es wurde mir kühl in dem feuchten Hemd, an dem nun wieder Dreck klebte. So ein Ärger – nun durfte ich es morgen vor dem Fest noch einmal waschen!
Ich stand auf und klopfte mir den groben Sand und kleine Kieselsteine von den Beinen.
»Komm, wir gehen nach Hause. Ich will nicht in der Dunkelheit laufen.«
Christina gehorchte. Schweigend und hastig schlüpften wir in unsere alten Kleider und sammelten die feuchte Wäsche ein. Wir mußten sie eben daheim über den flachen Ofen hängen, um sie vor dem Abend trocken zu bekommen. Elisabeth Rabe würde zornig mit mir sein.
In einem stillschweigenden Übereinkommen erzählten wir niemandem von dem Vorfall. Vielleicht hofften wir so, die Dinge ungeschehen zu machen. Ich aber ahnte bereits, daß die Begegnung am Fluß noch ein Nachspiel haben würde. Nichts im Leben geschieht ohne Grund, das weiß ich heute.
Es hatte am Morgen vor dem Fest noch geregnet. Unsere Füße sanken in den weichen, warmen Schlamm des Weges hin zur Dorfwiese ein. Jeder unserer Schritte erzeugte ein leises, schmatzendes Geräusch. Wir hielten unsere Sandalen und Latschen aus Bast und Holz in den Händen, um sie nicht schon auf dem Weg zum Fest zu verderben. Elisabeth Rabe lief gemeinsam mit mir, Christina und der kleinen Anna, die noch über ihre eigenen Füße fiel, zur Festwiese unterhalb des Klosters. Anna konnte kaum mit uns Schritt halten: Ich hielt sie fest an der Hand und zog sie mit uns. Nach dem feuchten Morgen war der Nachmittag nun sonnig und der Himmel weit und blau. Die Frauen, die neben der Festwiese den Tanzboden bereitet hatten, spannten gerade zwischen den hohen Birken Seile straff, auf denen die Kinder schaukeln konnten. Sie selber standen in bunten, langen Kleidern beisammen, sangen Lieder und
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