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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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klatschten dabei in die Hände.
    Auf der Festwiese herrschte bereits ein buntes Durcheinander. Vor dem ersten Zelt, das ich sah, war ein Bär angepflockt. Sein Fell war schmutzig und zerzaust, und als er sein Maul öffnete, sah man seine stumpfgefeilten Zähne. Auch seine Klauen waren bis nahe an sein Fleisch zurückgeschnitten. Von den gefangenen Tieren hielt man sich besser fern: Ihre zornige, unberechenbare Natur schlummerte nur und war durch die Ketten nicht gebrochen. Im Winter konnten die fahrenden Händler, die sie gefangenhielten, am Wegrand erfrieren. Die Bären rissen dann ihre Kette aus den Händen des Toten, und der Hunger trieb sie in die nächsten Häuser und Höfe. So machten Anna und ich um den Petz, der sinnlos seine Klauen an seinem Pfosten wetzte, einen ehrerbietigen Bogen.
    Dann hoben wir beide neugierig eine Klappe des mit bunten Flicken besetzten Zeltes, um in sein Inneres zu sehen. Ich traute meinen Augen nicht! Anna schnappte nach Luft und wich entsetzt zurück: In der Mitte des Zeltes war ein schauriges Geschöpf angebunden. Einen Menschen konnte ich es kaum nennen! Es war ein Wesen mit zwei Köpfen, vier Armen und zwei Beinen. Es mußte uns gehört haben, denn der eine Kopf wandte sich uns zu, während der andere hilflos zur Seite hing. Aus dem einen schlaffen Mund rann Speichel, während etwas wie ein Lächeln über das zweite, traurige, etwas schiefe Gesicht ging, das uns ansah. Eine der Hände regte sich, die Finger streckten sich in unsere Richtung. Ich zählte rasch die Finger daran ab. Es waren sechs. Ich schluckte und wich einen Schritt zurück. Es war zu schauerlich, doch ich konnte meine Augen nicht davon abwenden.
    In diesem Augenblick sagte eine Stimme laut neben uns: »Aha, die jungen Frauen, schon neugierig auf mein Zelt der Wunder?«
    Wir erschraken beide und fielen fast vornüber in das Zelt. Vor uns stand ein Mann. Neben ihm kauerte ein Zwerg, und hinter ihm stand ein ungelenkes Mädchen in einem langen Kleid aus leuchtenden grünen und blauen Flicken, das sie aussehen ließ wie einen Fisch. Sie mochte wohl so alt sein wie ich. Um die Leibesmitte trug sie ein Seil geschnürt und um ihr Haar hatte sie sich ein zerlöchertes Fischernetz geschlungen. Sie war stark geschminkt – ihr Gesicht sah aus wie in körniges Mehl gedrückt! Ihre Wangen hatte sie mit zwei grellroten Flecken bemalt, und die Brauen und die Augen hatte sie mit einem Stück Kohle nachgezogen. Es war das erste Mal, daß ich eine geschminkte Frau sah.
    Der Mann klopfte sich auf den dicken Bauch und stellte sich vor: »Meister Lampert, der euch Wunder aus aller Welt in euer Dorf bringt!« Er gab dem Zwerg einen Stoß in die Seite, woraufhin dieser hastig einen Purzelbaum schlug. Die Schellen und die stumpfen Münzen an seiner Jacke klirrten heiter dabei. »Niemand sonst hat Zwerge, Meerjungfrauen und schauerliche Geschöpfe wie ich! Kommt heute abend in meine Vorstellung, meine Damen! Es gibt ein Wettschießen mit faulem Obst auf mein Ungetüm!« prahlte Meister Lampert weiter und zeigte mit dem Finger auf das unglückliche Geschöpf in der Mitte des Zeltes. Ich sah noch einmal scheu hin. Es ließ nun beide Köpfe wieder hängen und schlenkerte sinnlos mit den Armen. Die »Meerjungfrau« – was immer das heißen sollte – lächelte mich an und entblößte dabei schwarze Zahnlücken.
    Gott, war ich froh, als in diesem Augenblick Elisabeth Rabe mich am Arm griff und uns beide zornig ins Freie zog! »Was trödelst du denn mit dem fahrenden Volk! Bist wohl eine der Ihren!? Komm, Christina und ich sehen uns den Feuerschlucker an!« fauchte sie.
    Dennoch drückte sie mir einige mit Honig gesüßte Nüsse in die Hand. Wie hatte sie das Geld dafür am Vater vorbeigeschmuggelt? Ohne Zweifel, es war ein Festtag.
    Ihre nächsten Worte verstand ich nicht mehr, denn eine bunte Truppe Musikanten kam auf festgetretenen Wegen zwischen den Zelten und Buden auf uns zu, und der Lärm der Trommeln, Flöten und Schellen schluckte Elisabeths Geschimpfe gnädig. Ich war froh darum und gab einige Nüsse an Anna weiter, die an meiner Hand zappelte. Wir fanden Christina bei den Buden mit dem Feuerschlucker, den Gauklern und dem Zauberer. Der holte gerade einem Bauern einen roten Ball aus seinem schmutzigen Ohr. Die Menge lachte und klatschte wie toll. Andere Männer drängten sich nach vorne, um sich auch einen Ball aus dem Ohr zaubern zu lassen.
    Christina zog mich zu sich und zeigte auf den Feuerschlucker: »Hast du die Muskeln

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