Die Zarin (German Edition)
anstarrte, und wünschte mir sehnlich mein langes Hemd herbei. Ich machte Christina hastig ein Zeichen, im Wasser zu bleiben.
»Wer ist das?« fragte sie mich leise und ließ sich in der seichten Strömung hin und her treiben. »Pst! Ich weiß es nicht! Bleib’, wo du bist!« wies ich sie an.
Zu meinem Schrecken sah ich, daß der Mann vom Bock des schweren Karrens stieg. Er sprach mit den drei Reitern, die ihn begleiteten, und ich konnte nun sehen, daß sie bewaffnet waren. Der Mann schlug unseren kleinen Weg zum Ufer ein. Hastig lief ich zu dem Busch, auf dem mein frisches Hemd hing. Es war noch immer feucht, aber ich schlüpfte dennoch hinein. Es gelang mir gerade noch, es über meine Schenkel zu ziehen, dann stand der Mann schon vor mir.
Er war wohl so alt wie mein Vater, aber er hatte in seinem Leben gewiß nicht so hart gearbeitet wie jener! Er trug ein langes Gewand nach russischer Art, dessen weiter Kragen über den Schultern aus dunklem Fell war. Darunter sahen Hosen aus weichem Leder hervor, und sein Gürtel war reich bestickt. Seine hohen Stiefel waren mit Matsch und Kot bespritzt. Ich sah in sein Gesicht. Sein Kinn war von einem dichten, dunklen Bart bedeckt, und der flache Hut auf seinem Kopf warf einen Schatten auf sein Gesicht. Dennoch konnte ich seine Augen erkennen, die nun flink und neugierig über mich glitten. Elisabeth Rabe hätte mich gewiß grün und blau geschlagen, hätte sie geahnt, daß ich hier halbnackt vor einem Fremden stand. Er zog seine Handschuhe aus. An seinen kurzen, dicken Fingern trug er mehrere Ringe mit bunten Steinen. So viele Ringe hatte ich selbst beim Vorstand des Klosters noch nicht gesehen!
»Ich suche den Weg zum Kloster. Wir haben uns wohl verirrt. Kannst du mir den Weg sagen, Mädchen?«
Er sprach nun ein hartes und abgehacktes Deutsch, wie die Russen es taten, und er setzte seine Worte mit ruhiger, kalter Stimme. Ich konnte sehen, daß er noch alle Zähne im Mund hatte. Seine Art, auf meine Brüste zu starren, machte mich unbehaglich. Schlimmer noch, meine Haare fielen nun aus dem einfachen Zopf, den ich mir hastig geflochten hatte. Als ich nach ihnen griff, rutschte die Tunika von meinen Schultern, und durch die Bewegung klebte das Hemd auf meiner nassen Haut. Ich wußte, daß mein Busen durch das Leinen schimmerte. Ebensogut hätte ich nackt dort stehen können. Er fuhr sich mit der Zunge schnell über die Lippen.
In diesem Augenblick erinnerte er mich an die Schlange, die mein Bruder Fjodor und ich im letzten Sommer im Gestrüpp unseres Gemüsefeldes gesehen hatten. In meiner Erinnerung war sie lang und hellgrün gewesen, fast durchsichtig, so daß ihre Gedärme dunkel unter ihrer Haut schimmerten. Sie schlängelte sich gefährlich langsam auf uns zu. Fjodor, obwohl er kleiner war als ich, schob mich damals mit einer bestimmten Geste hinter sich. Die Schlange kam näher, zögerlich und züngelnd. Sie sah giftig aus. Tödlich. Mein Bruder bückte sich rasch und nahm einen schweren Stein auf. Im selben Augenblick, in dem die Schlange mit geöffnetem Kiefer nach vorne schoß, zerschmetterte er ihr mit einem einzigen Schlag den Kopf.
Ich erinnere mich, wie die Nerven den toten, langen Körper zucken und sich winden ließen.
Der Mann machte einen Schritt auf mich zu, und ich hörte Christina im Wasser aufschreien. »Martha, gib acht!«
Er drehte den Kopf zu dem Laut, und ich nutzte den Augenblick, um mich zu bücken und einen der bemoosten Steine aus dem Uferbett aufzuheben. Ich war vielleicht aus einem kleinen Dorf und dazu noch Jungfrau, aber ich wußte genau, was er wollte. Schließlich hatten wir Hennen und Hahn im Hinterhof, und ich hatte auch oft genug die Bullen und die Kühe im Stall des Klo sters beobachtet. Außerdem gibt es in den isby , in denen die ganze Familie Körper an Körper auf dem flachen Ofen schläft, nur wenig menschliche Geheimnisse!
»Das Kloster ist die Straße geradeaus weiter. Du bist bald dort, wenn du dich beeilst!« gab ich ihm dann knapp Auskunft. Meine Stimme zitterte dabei, was mich ärgerte.
Er sagte nichts, sondern kam noch einen Schritt näher auf mich zu. Ich wich zurück und zischte: »Bleib’ weg!« Er lächelte nur und folgte mir. »Wenn du näherkommst, schlage ich dir bei Gott den Schädel ein! Mach’, daß du auf deine Kutsche und zu den verfluchten Mönchen kommst!« sagte ich fest und laut. Ich bewegte den Stein drohend hin und her. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, daß seine drei Begleiter abstiegen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher